Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. elektronische Gesundheitskarte mit Lichtbild verstößt weder gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen noch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit Lichtbild verstößt in Bezug auf die Erhebung, Speicherung und Nutzung der sog administrativen Daten (Pflichtangaben gemäß § 291a Abs 2 S 1 Halbs 1 iVm § 291 Abs 2 SGB 5) weder gegen bestehende datenschutzrechtliche Bestimmungen noch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherten.
2. Das Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne einer Massenverwaltung ist insoweit im Verhältnis zu einer rechtlichen Betroffenheit der Versicherten als überwiegend anzusehen.
3. Die elektronische Gesundheitskarte verfügt derzeit über keine weiteren Funktionen als die Krankenversichertenkarte.
4. Die sog Onlinefunktion der elektronischen Gesundheitskarte iS des Transports der administrativen Daten zwecks Überprüfung der Gültigkeit und Aktualität zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse begegnet im derzeitigen Verfahrensstadium (Beginn des Onlinerollouts im Sinne ua einer Erprobung der Praxistauglichkeit, des Datenschutzes und der Sicherheit der sog Telematikinfrastruktur) keinen rechtlichen Bedenken.
Normenkette
SGB V § 291a Abs. 2 S. 1 HS 1, Abs. 2, 1, 3 S. 1, Abs. 2b, § 291b Abs. 1a, § 284 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 2; SGB X § 67 Abs. 1, 12, § 67a Abs. 1, 1 S. 4, § 67c Abs. 1; GG Art. 2
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).
Der 1947 geborene und bei der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versicherte Kläger erhielt im April 2012 von der Beklagten die Aufforderung, dieser im Zuge der Einführung und Ausstellung der eGK sein Foto zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 14. Mai 2012 wies der Kläger darauf hin, dass er hierzu nicht bereit sei. Seine persönliche Identifizierung könne durch seinen Personalausweis erfolgen. Er widerspreche zudem der Speicherung und Weitergabe von persönlichen Krankendaten auf einer solchen Karte. Nur die personenbezogenen Daten wie Vor- und Nachname, Anschrift, Versicherungsnummer und Kasse dürften insoweit - wie bisher - gespeichert werden. Auch dürfe nur der Austausch von Daten zum Zweck der Abrechnung zwischen Arzt und Krankenkasse erfolgen. Mit Bescheid vom 22. Mai 2012 forderte die Beklagte von dem Kläger ein Foto für die Erstellung der eGK an. Die eGK mit dem Foto des Klägers löse die bisherige Krankenversichertenkarte ab. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben müsse diese erstellt werden. Soweit bis zum 25. Juni 2012 kein Foto des Klägers vorliege, werde ihm eine eGK ohne Foto zukommen, damit er im Krankheitsfall einen Nachweis der Versicherung habe. Vorerst könne auch die bis zum März 2014 gültige Versichertenkarte weiterhin beim Arzt vorgelegt werden. Den Widerspruch des Klägers vom 7. Juni 2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2012 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 24. September 2012 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung hat er erneut darauf hingewiesen, dass eine ausreichende Identifizierung entsprechend dem Gesetz über Personalausweise problemlos möglich sei. So könne nach § 18 Abs. 1 des Gesetzes über Personalausweise der Personalausweisinhaber seinen Personalausweis dazu verwenden, seine Identität gegenüber öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen elektronisch nachzuweisen. Zudem sei es mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 18. August 2006 nicht mehr notwendig, z.B. bei Bewerbungsschreiben ein Lichtbild beizufügen. Warum dies bei der eGK dann notwendig sein solle, erschließe sich nicht. Es sei ihm nicht zumutbar, bei jedem Arzt- oder Apothekenbesuch erklären zu müssen, ob einer Speicherung seiner Daten zugestimmt werde oder nicht. Eine effektive und tatsächliche Kontrolle der gespeicherten Daten sei ihm nicht möglich. Hier bestehe ein - wie generell in der Datenverarbeitung und Datenspeicherung - nicht zu verifizierendes Risiko des Datenmissbrauchs. In § 291a Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sei zudem aufgeführt, dass lediglich die letzten 50 Abfragen zu protokollieren seien, sodass damit gerade nicht alle Abfragen erfasst würden. Die Zustimmungserklärung bzw. Widerspruchserklärung über die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten solle nach den Ausführungen des Gesetzes auf der Gesundheitskarte in Form eines Dateneintrags dokumentiert werden. Da er die Dateneintragung insgesamt ablehne, würde eine rechtsverbindli...