Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Gewährung eines Beitragszuschusses zur privaten Krankenversicherung. Änderung einer Leistungsbewilligung bei nachträglicher Änderung der Verhältnisse durch Eintritt gesetzlicher Krankenversicherungspflicht. Mitteilungspflicht des Rentenempfängers. Anforderungen an die Annahme einer grob fahrlässigen Verletzung von Mitteilungspflichten bei Änderung der Verhältnisse. Vertrauensschutz. Hinweis des Rentenversicherungsträgers. Atypischer Fall. Mitverschulden des Rentenversicherungsträgers. Finanzielle Belastung. Ermessen
Orientierungssatz
1. Haben sich die Verhältnisse, die der Bewilligung einer Leistung der gesetzlichen Sozialversicherung zugrunde gelegen haben (hier: Zuschuss zur privaten Krankenversicherung bei einer Hinterbliebenenrente) geändert (hier: Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht in der Krankenversicherung), so trifft den Leistungsempfänger auch dann eine Pflicht zur Mitteilung der Änderung an den Sozialleistungsträger, wenn dieser auch auf anderem Wege Kenntnis von den Änderungen der Verhältnisse erlangen kann.
2. Wurde eine Bezieherin von Rente, die eine private Kranken- und Pflegeversicherung unterhielt, aufgrund gesetzlicher Regelungen (hier: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) nachträglich in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen, so kann sie jedenfalls dann gegen eine nachträgliche Aufhebung eines ursprünglich bewilligten Zuschusses des Rententrägers zu den Beiträgen in die private Krankenversicherung nicht einwenden, auf den Bestand der Beitragszuschüsse vertraut zu haben, wenn sie selbst keine Beiträge mehr in die private Krankenversicherung leistete. Dies gilt auch dann, wenn sie von ihrer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse keine positive Kenntnisse hatte.
3. Der Einwand der Unerfahrenheit in geschäftlichen Dingen beseitigt nicht die Einordnung einer unterbliebenen und dabei offensichtlich gebotenen Änderungsmitteilung beim Bezug von Sozialleistungen (hier: Beitragszuschuss zur privaten Krankenversicherung eines Rentenbeziehers nach Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht) als grob fahrlässige Pflichtverletzung.
4. Einzelfall zur Beurteilung der grob fahrlässigen Verletzung einer Mitteilungspflicht nach Eintritt der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht eines zuvor privat krankenversicherten Rentenempfängers (hier: grob fahrlässige Pflichtverletzung bejaht).
Normenkette
SGB VI §§ 106, 106a; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2, 4, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, § 50 Abs. 1; SGB I § 60 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 28. Februar 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die rückwirkende Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung eines Beitragszuschusses zu den Aufwendungen für die (freiwillige) Kranken- und Pflegeversicherung sowie um die Rückforderung der insoweit für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 30. September 2008 erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 6.421,17 €.
Die 1937 geborene Klägerin ist die Witwe des 1934 geborenen und 2000 verstorbenen Versicherten B. A.
Nach dem Tode des Ehemannes beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente einschließlich eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Sie gab (seinerzeit wahrheitsgemäß) an, dass für sie keine Versicherungspflicht in einer gesetzlichen Krankenkasse bestehe und unterzeichnete auf dem entsprechenden Antragsformular "R 820" unter dem 29. November 2000 eine Schlusserklärung (Blatt II/11 Rentenakten), welche den folgenden Wortlaut hat:
"Ich versichere, dass ich sämtliche Angaben in diesem Vordruck nach bestem Wissen gemacht habe. Mir ist bekannt, dass wesentlich falsche Angaben zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen können.
Ich verpflichte mich,
a) die Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung … sowie jede Veränderung der Beitrags- bzw. Prämienhöhe für die Krankenversicherung
b) die Aufnahme einer Beschäftigung … oder selbstständigen Tätigkeit
c) den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung …
d) …
e) …
f) jede Änderung des Pflegeversicherungsverhältnisses (z.B. Eintritt von Versicherungspflicht …)
unverzüglich dem zuständigen Rentenversicherungsträger anzuzeigen."
Durch in der Sache bindend gewordenen Neuberechnungsbescheid vom 14. Mai 2001 bewilligte die Beklagte der Klägerin daraufhin zu ihrer ab 1. Dezember 2000 bezogenen Witwenrente für die Zeit ab 1. Dezember 2000 einen Beitragszuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in gesetzlicher Höhe. In diesem Bescheid heißt es unter der Überschrift "Mitteilungspflichten" unter anderem:
"Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die freiwillige oder private Krankenversicherung entfällt mit der Aufgabe oder dem Ruhen dieser Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenv...