Leitsatz (amtlich)
1. Stellvertretende Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft unterliegen nicht der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung. Bei ihnen wird das Bestehen einer hinreichenden persönlichen Abhängigkeit bereits durch gesetzlich festgelegte Merkmale ihrer Tätigkeit ausgeschlossen.
2. Die rechtliche Stellung der stellvertretenden Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft unterscheidet sich ihrer Art nach nicht grundsätzlich von derjenigen der Vorstandsmitglieder, die nach Änderung des § 3 AVG durch Art. 1 § 2 Nr. 2 des 3. RVÄndG vom 28.7.1969 nicht zu den leitenden Angestellten im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG zu rechnen sind.
3. Ob ein stellvertretendes Vorstandsmitglied „Mitglied des Vorstands” ist, bestimmt sich allein – da § 3 Abs. 1 a AVG auslegungsbedürftig ist – nach § 94 AktG.
Normenkette
AVG § 3 Abs. 1a
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 13.06.1972) |
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 13. Juni 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 1) hat der Klägerin und den Beigeladenen zu 2) und 3) die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 14. Mai 1970 bei der Beklagten unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Feststellung, daß die bei ihr tätigen Beigeladenen zu 2) und 3), die bis zum 31. März 1970 stellvertretende Vorstandsmitglieder waren und ab 1. April 1970 zu ordentlichen Vorstandsmitgliedern bestellt wurden, ab 1. Januar nicht der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung unterlagen.
Durch Bescheid vom 2. Juni 1970 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf die Erklärung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte anläßlich der Sitzung vom 20./21. Oktober 1969 (DOK 1970 S. 69) der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Bundesknappschaft, der Seekrankenkasse, des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs entsprechend der für sie gemäß Art. 121 Abs. 4 AVG weiter bindenden Entscheidung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 26. Januar 1968 – I 1 014, 289 Nr. 18/67 (vgl. DOK 68, 181) fest, stellvertretende Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften unterlägen im Hinblick auf die Rechtsprechung der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung, da sie funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozeß teilhätten und für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhielten. Durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 28. Juli 1969 (BGBl. I 1969 S. 936) habe der Gesetzgeber durch die Einfügung des § 3 Abs. 1 a AVG lediglich die versicherungsrechtliche Stellung der ordentlichen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften neu regeln wollen. Bei der Neuregelung handele es sich um eine Ausnahmevorschrift, die als solche eng auszulegen sei, so daß auch über den § 94 des Aktiengesetzes versicherungsrechtlich die Gleichstellung des stellvertretenden mit dem ordentlichen Vorstandsmitglied ausgeschlossen sei.
Gegen diesem Bescheid erhob die Klägerin am 12. Juni 1970 Widerspruch. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin aus den Gründen des Bescheids vom 12. Juni 1970 durch Widerspruchsbescheid vom 21. September 1970 zurück.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, der Begriff „Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft” bestimme sich nach den Aktiengesetz. Dieses unterscheide nicht zwischen „ordentlichen” und „stellvertretenden” Vorstandsmitgliedern. Vielmehr ordne § 94 AktG die Gleichstellung der „Stellvertreter” an. Aus diesem Grund würden die stellvertretenden Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften ebensowenig wie die ordentlichen der Angestelltenversicherungspflicht unterliegen. Ihre Ansicht stützte die Klägerin insbesondere auf das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15. Dezember 1969 – S-7 Kr 72/68 –.
Die Beklagte blieb bei ihrem Standpunkt und nahm Bezug auf ihrem Widerspruchsbescheid vom 21. September 1970.
Das Sozialgericht Frankfurt/Main hob mit Urteil vom 15. Juni 1972 den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1970 auf und stellte fest, daß die Beigeladenen zu 2) und 3) ab Januar 1968 als stellvertretende Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft nicht der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung unterliegen. In den Gründen ist ausgeführt, daß sich die Gleichstellung mit den ordentlichen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften aus dem Aktiengesetz ergebe. Der in § 3 Abs. 1 AVG verwendete Begriff „Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft” bedürfe somit keiner Auslegung, da er gesetzlich festgelegt sei.
Gegen das am 5. Juli 1972 der Beigeladenen zu 1) zugestellte Urteil hat diese am 25. Juli 1972 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie wesentlich geltend, die aktienrechtliche Gleichstellung der stellvertretenden mit dem ordentlichen Vorstandsmitgliedern einer ...