Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 17.05.1991; Aktenzeichen S-9/Kr-651/90)

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 31.01.1995; Aktenzeichen 1 BK 31/94)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Mai 1991 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für eine Remedacen-Behandlung der Klägerin bei Heroinabhängigkeit zu übernehmen.

Die am 23. Oktober 1962 geborene Klägerin ist aufgrund eines seit dem 3. September 1987 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahre 1984 wurde die Klägerin heroinabhängig. Von 1986 bis Februar 1989 bestand eine Suchtstoffabstinenz. Nach einem Rückfall in die Heroinabhängigkeit im Jahre 1989 besorgte sich die Klägerin auf dem Schwarzmarkt das Medikament Remedacen. Es handelt sich hierbei um ein Codeinpräparat, das in der ärztlichen Behandlung bei akutem und chronischem Reizhusten eingesetzt wird. Dieses Medikament wird wegen seines Bestandteils an Dihydrocodein – eine Abwandlung des Morphinmoleküls – auch in der Suchttherapie als Ersatzdroge eingesetzt.

Die Klägerin wurde in der Zeit vom 19. Oktober 1989 bis 27. Juli 1990 von dem in Frankfurt ansässigen Arzt … wegen ihrer Suchterkrankung behandelt. Dieser verordnete der Klägerin bis April 1990 Remedacen. Am 12. April 1990 veranlaßte der Arzt eine stationäre Entgiftungsbehandlung in dem Psychiatrischen Krankenhaus …. Dort wurde die Klägerin in der Zeit vom 19. April 1990 bis 25. April 1990 stationär behandelt.

Wegen der Privatverordnung von Remedacen-Kapseln sprach die Klägerin am 8. Januar 1990 bei der Beklagten vor und beantragte die Erstattung der dafür bisher entstandenen Kosten und eine Kostenübernahme hinsichtlich der weiteren Remedacen-Behandlung. Sie gab an, sie sei drogenabhängig und solle durch dieses Mittel ohne stationären Aufenthalt von ihrer Sucht befreit werden. Sie sei aus finanziellen Gründen nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Medikament selbst zu tragen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Januar 1990 den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 14. Januar 1990 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, seit sie die Remedacen-Kapseln einnehme, habe sie kein Verlangen mehr gespürt, sich Heroin zu spritzen. Auch habe sie seither keine Krankheitsbeschwerden (Magenbeschwerden, Infektanfälligkeit, Depressionen) mehr. Remedacen sei für sie keine Ersatzdroge, denn das Medikament löse keinen euphorischen Rausch aus wie das Heroin. Zu einer stationären Therapie sei sie nicht bereit. Dies sei wenig erfolgversprechend. Auch müsse sie ihre Probleme vor Ort lösen. Zudem würde sie wegen der langen Therapiedauer ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren.

Im Widerspruchsverfahren bat die Beklagte den die Klägerin behandelnden Arzt … schriftlich um nähere Informationen über die von ihm bei der Klägerin durchgeführte Therapie. Dieser übersandte am 16. Februar 1990 anstelle eines Attestes bzw. eines Befundberichts ein von ihm verfaßtes Referat mit dem Titel „Praktische Hinweise zur ambulanten Therapie der Heroinsucht”. Die Beklagte holte desweiteren eine Stellungnahme des AOK-Landesverbandes ein. Von dort wurde der Beklagten ein Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 14. Juli 1988 übersandt, in dem über eine Stellungnahme des Ausschusses für Untersuchungs- und Heilmethoden zur Substitution drogenabhängiger Patienten mit Codeinpräparaten berichtet wird. Als Anlage enthielt dieses Schreiben auch eine Stellungnahme des Gemeinsamen Arbeitskreises des Wissenschaftlichen Beirates und des Ausschusses „Psychiatrie, Psychotherapie und Psychohygiene” der Bundesärztekammer zu „Ersatzdrogen”.

Gestützt auf diese Stellungnahmen wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 12. März 1990 zurück. Zur Begründung führte sie aus, Remedacen werde im Falle der Klägerin nicht als Arzneimittel, sondern als Ersatzdroge eingesetzt. Die Substitution mit Ersatzdrogen stelle keine Krankenbehandlung dar. Mit diesen sogenannten Ersatzprogrammen werde versucht, die Komplikation im gesellschaftlich-sozialen Bereich (z.B. Beschaffungskriminalität, Prostitution) zu mildern oder aufzuheben. Langjährige Erfahrungen mit Ersatzprogrammen hätten gezeigt, daß dadurch keine wesentliche Änderung der Sucht ermöglicht werde. Die Behandlung der Drogenabhängigkeit müsse deshalb auf der Basis der Drogenabstinenz erfolgen.

Die Klägerin hat hiergegen am 17. April 1990 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung angegeben, seit April 1990 nehme sie kein Remedacen mehr, sei seither auch nicht mehr suchtkrank. Während der Therapie habe sie zunächst zweimal zehn Kapseln täglich und später fünf Tabletten täglich eingenommen. In der Praxis des Arztes habe sie sich einmal wöchentlich zur Kontrolle von Blut und Urin vorstellen müssen.

Das Sozialgericht Gießen hat durc...

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