Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung Hessen. Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen der Erweiterten Honorarverteilung. Vergleichbarkeit mit Ansprüchen aus betrieblichen Versorgungsanwartschaften und beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystemen. Nachhaltigkeitsfaktor. Verstoß gegen Verfassungsrecht. Honorarverteilung. Berücksichtigung von Praxiskosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) nach Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit sind strukturell sowie im Hinblick auf ihre alterssichernde Funktion und der besonderen Schutzbedürftigkeit der inaktiven Ärzte Ansprüchen aus betrieblichen Versorgungsanwartschaften und aus den beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystemen vergleichbar und damit durch Art 14 Abs 1 GG geschützt.

2. In den durch die Beitragszahlungen während der aktiven Phase erworbenen und festgestellten Anspruch des inaktiven Vertragsarztes greift der sog Nachhaltigkeitsfaktor des § 8 GEHV 2006 (juris: ErwHVGrs HE) ein, indem er die Quotierung des EHV-Anspruchs anordnet, sobald das zur Verteilung vorhandene Honorar aufgrund der "Deckelung" des Umlagesatzes auf 5 % nicht mehr ausreicht, um die Ansprüche der EHV-Berechtigten zu erfüllen. Dieser Eingriff, der im Ergebnis eine effektive Kürzung der erworbenen Ansprüche der inaktiven Ärzte bewirkt, ist mit der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG nicht vereinbar. Er stellt sich in seiner konkreten Ausgestaltung als unverhältnismäßige Belastung der Inaktiven dar. Durch den die rechtsstaatlichen Prinzipien des Übermaßverbots, des Vertrauensgrundsatzes und das Gebot ausgewogener Abwägung (vgl hierzu Papier in Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rdnr 137) verletzt werden. Dies ist insbesondere mit dem Gebot einer gerechten Lastenverteilung in einem System kollektiver Verantwortung nicht vereinbar.

3. Der Regelungsgehalt des § 5 GEHV 2010 ist hinreichend klar und insbesondere im Hinblick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers bei der Ausgestaltung der Honorarverteilung (vgl BVerfG vom 10.5.1972 - 1 BvR 286/65 = BVerfGE 33, 171; BVerfG vom 27.3.1979 - 1 BvL 7/87 = BSGE 51, 74; BayVerfGH vom 14.11.2003 - Vf.8-VII-02 = NZS 2004, 264) rechtlich nicht zu beanstanden. Er ordnet an, dass die als "TL-Anteil" bezeichneten Praxiskosten, welche in der durch die Vertreterversammlung beschlossenen "Liste TL-Anteile" definiert sind, unmittelbar von der Honorarforderung der jeweiligen Praxis abgezogen werden, soweit sei über dem Anteil der jeweiligen Fachgruppe liegen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.02.2014; Aktenzeichen B 6 KA 12/13 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Februar 2010 sowie die Bescheide der Beklagten über das EHV-Honorar in den Quartalen II/07 bis II/08, alle in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2009 sowie des Änderungsbescheides vom 20. September 2010, abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Quartale II/07 bis II/08 Leistungen aus der EHV ohne Quotierung aufgrund des Nachhaltigkeitsfaktors gemäß § 8 Abs. 1 GEHV 2006 zu erbringen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Februar 2010 abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte zur Neubescheidung des EHV-Anspruchs des Klägers hinsichtlich der Kürzungen wegen technischer Leistungen gemäß § 5 GEHV verurteilt worden ist.

Im Übrigen werden sowohl die Berufung des Klägers als auch die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Berechnung seines Honorars aus der erweiterten Honorarverteilung (EHV) für die Quartale II/07 und II/08; er erstrebt ein höheres Honorar. Im Streit steht dabei eine grundsätzliche Neuausrichtung der EHV ab dem dritten Quartal 2006 insbesondere durch die Einführung eines sog. Nachhaltigkeitsfaktors. Die Anerkennung der Zuschläge für Mehrzeiten gemäß § 3 (1) c) bb) der Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung (GEHV) ist nach diesbezüglicher Einschränkung der Berufung durch die Beklagte nicht mehr Streitgegenstand des Berufungsverfahrens.

Der 1944 geborene und jetzt 68-jährige Kläger war bis zum 30. September 2004 im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er nimmt seit 01. Juni 2007 an der Erweiterten Honorarverteilung der Beklagten (EHV) mit einem Anspruchssatz von 8,6633 % teil.

Mit Wirkung zum Quartal IV/2001 hatte die Vertreterversammlung der Beklagten die Grundsätze der EHV wesentlich geändert mit dem Ziel, vor dem Hintergrund veränderter versicherungsmathematischer und demographischer Bedingungen durch ein "solidarisch ausgerichtetes Maßnahmenbündel" die EHV langfristig zu sichern (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Juli 2008, B 6 KA 38/07 R, juris Rdnr. 4; Gerlich, HessÄBl 10/2001, S 527). Zu den Maßnahmen gehörten die Begrenzung des erreichbaren Höchstproze...

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