Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherungsrecht. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Nachweis im Vollbeweis. Beweisschwierigkeit. Erinnerungslücke. Berücksichtigung. freie richterliche Beweiswürdigung. Beweiserleichterung. Alkoholisierung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass der Versicherte im Unfallzeitpunkt mit einer Verrichtung befasst war, die im inneren bzw sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand und dieser zuzuordnen ist, muss im Vollbeweis nachgewiesen sein.
2. Im konkreten Fall bestehende Beweisschwierigkeiten - etwa aufgrund einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Betroffenen - sind im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 SGG) durch das Gericht zu berücksichtigen. Sie können im Einzelfall dazu führen, dass das Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann, begründen aber keine entsprechende allgemeine Beweiserleichterungsregel.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 16. März 2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Der 1954 geborene Kläger war zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses als Angestellter seiner Ehefrau in der von dieser betriebenen Gaststätte „C.“ in A-Stadt beschäftigt. Am Morgen des 28. Januar 2016 wurde er gegen etwa 6:30 Uhr von dem Zeugen D. auf der Straße vor der Gaststätte liegend bewusstlos aufgefunden. Der gegen 6:50 Uhr eintreffende Rettungsdienst verbrachte den Kläger zunächst in die Lahn-Dill Kliniken in Wetzlar, von wo aus er noch am selben Tag in die Universitätsklinik Gießen (UKGM) überführt wurde. Dort wurde er aufgrund erheblicher Kopfverletzungen über mehrere Wochen auf der Intensivstation der Neurochirurgie behandelt und anschließend für mehrere Wochen in eine psychiatrische Einrichtung übernommen.
Die Ehefrau des Klägers gab in ihrer Unfallanzeige vom 19. Februar 2016 an, dass der Kläger „bei der Müllentsorgung am frühen Morgen vor dem Eingang des Restaurants gestürzt und von einer unbekannten Person bewusstlos aufgefunden worden“ sei.
Dem Einsatzprotokoll des Rettungsdienstes ist zu entnehmen, dass der Kläger bei dessen Eintreffen wach und ansprechbar, aber desorientiert, liegend vorgefunden wurde. Unklar sei, wie lange er draußen gelegen habe. Der Verdacht auf eine Alkoholintoxikation wurde dokumentiert, außerdem vermerkt, dass der Name des Patienten nicht feststellbar sei, weil dieser keine Papiere bei sich führe. Der Entlassungsbrief der Lahn-Dill Kliniken weist als Diagnosen auf: Alkoholintoxikation mit V.a. Sturz, initial 2,15 Promille, Kopfplatzwunde rechts parietal, CCT mit Nachweis einer Subarachnoidalblutung und nicht dislozierter Fraktur des Os parietale rechts. Der Kläger sei vor dem Restaurant „C.“ auf dem Boden liegend durchnässt aufgefunden worden. Ein Name sei zunächst nicht eruierbar gewesen. Der Kläger habe mehrere Lieferscheine und Kontoauszüge bei sich geführt, zudem circa 533,00 EUR in bar. Die Extremitäten wurden mit „peripher warm“ angegeben, Pulse beidseits gut palpabel.
Dem Durchgangsarztbericht des Prof. E. aus Gießen lässt sich zum Unfallhergang entnehmen: „Uhrzeit des Unfalles unklar […]. Auf dem Außengelände/Parkplatz des Restaurants in alkoholisiertem Zustand mutmaßlich gestürzt. Genauer Hergang seitens des UV nicht erinnerlich. Ereignis war unbeobachtet.“ Der Entlassungsbrief der UKGM benennt als Diagnosen Subarachnoidalblutung, Schädeldachfraktur, diffuse Hirnkontusionen (frontopolar und temporopolar bds.), subdurale Blutungsanteile, organische Gedächtnis- und Verhaltensstörung bei Schädel-Hirn-Trauma, Delir, Nikotinabusus, akute Alkohol-Intoxikation und Harnwegsinfektion. Durch die Ehefrau des Klägers sei zu erfahren gewesen, dass dieser öfter trinke. Während des stationären Verlaufs habe der Kläger eine zunehmende vegetative Entzugssymptomatik mit Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg sowie Schweißausbrüchen und Zittern gezeigt, so dass eine Diazepambehandlung nach ausschleichendem Schema begonnen worden sei. Auf Betreiben der Klinik wurde eine gesetzliche Betreuung vorerst bis zum 11. August 2016 eingerichtet.
Die Beklagte hat in der Folge zum Unfallhergang ermittelt. Der Kläger gab hierbei an, keinerlei Erinnerung an das Unfallgeschehen oder die Stunden davor zu haben. Die Tochter des Klägers gab gegenüber der Beklagten an, am Abend vor dem Unfall nicht in der Gaststätte der Eltern gewesen zu sein. Die letzte, die den Kläger gesehen habe, sei ihre Mutter gewesen, die das Lokal gegen 23:30 Uhr verlassen habe. Die Ehefrau des Klägers äußerte sich demgegenüber schriftlich dahin, dass sie an dem Unfalltag früher nach Hause gegangen sei, da sie starke Kopfschmerzen gehabt habe. Ihr Mann habe das Lokal abschließen sollen. Sie könne keine Angaben zu den letzten Gästen machen. D...