Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Rentenbescheiden. Erfüllung der für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderlichen 45-jährigen Wartezeit. Bezug von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn. tatsächlicher Wegfall der gesamten Unternehmensorganisation ausreichend für die vollständige Geschäftsaufgabe. Bedingtsein. einfache Kausalität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sofern der Rentenversicherungsträger im Bescheid über die Bewilligung einer Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen zum Ausdruck bringt, dass er auch die Erfüllung der 45jährigen Wartezeit für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte geprüft und als nicht erfüllt angesehen hat, stellt dies eine anfechtbare Regelung iS des § 31 S 1 SGB X dar.

2. Das Tatbestandsmerkmal der "vollständigen Geschäftsaufgabe" in § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Halbs 2 SGB VI ist durch den tatsächlichen Wegfall der gesamten Unternehmensorganisation als Basis der Beschäftigung gekennzeichnet. Dahinstehen kann der formelle Bestand des Arbeitgebers als juristische Person insbesondere durch die fortbestehende Eintragung im Handelsregister.

3. Das Tatbestandsmerkmal des "Bedingtseins" in § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Halbs 2 SGB VI erfordert lediglich eine einfache Kausalität iS der Äquivalenztheorie.

 

Orientierungssatz

1. Zum Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe iS des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB 6 (vgl BSG vom 28.6.2018 - B 5 R 25/17 R = BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 2).

2. Die in § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Halbs 2 SGB 6 (dh in § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Teils 3 SGB 6) geregelte Rückausnahme erfordert nicht, dass nur das der Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung unmittelbar vorangegangene Beschäftigungsverhältnis aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers beendet worden ist.

3. Zum Leitsatz 3: Ablehnung von SG Stade vom 14.9.2015 - S 9 R 5/15, SG Karlsruhe vom 2.12.2015 - S 7 R 1644/15 sowie SG Altenburg vom 10.12.2015 - S 14 R 3960/14.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.03.2021; Aktenzeichen B 13 R 7/20 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. April 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch für das Berufungsverfahren die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Die 1952 geborene Klägerin war seit dem 1. März 1987 bei der C. GmbH & Co. KG in A-Stadt als Verkaufsberaterin beschäftigt. Die Arbeitgeberin beendete das Arbeitsverhältnis durch Kündigung vom 25. Oktober 2013 mit Wirkung zum 31. Mai 2014. Zur Begründung führte sie aus: „(…) beschlossen, den Geschäftsbetrieb derC. GmbH & Co. KG zum 31. Mai 2014 stillzulegen. Unser Geschäft wird geschlossen. Die Stilllegung des Geschäftsbetriebs führt zu einem Wegfall sämtlicher Arbeitsplätze. Dies gilt auch für Ihren Arbeitsplatz. Wir kündigen das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis daher aus dringenden betrieblichen Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2014. Höchst vorsorglich kündigen wir das Arbeitsverhältnis auch außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2014.“

Seit dem 1. Juni 2014 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemäß §§ 136 ff. Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III). Ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 10. Juni 2014 betrug die Anspruchsdauer 720 Kalendertage zu einem täglichen Leistungsbetrag von 32,29 €. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2014 hob die BA die Arbeitslosengeld-Bewilligung auf. Grund hierfür war, dass die Klägerin ausweislich des Arbeitsvertrages vom 30. Oktober 2014 mit der D. GmbH eine Tätigkeit im Umfang von 28 Stunden wöchentlich mit Wirkung ab dem 1. November 2014 aufgenommen hatte, wobei die ersten 6 Monate als Probezeit mit 2-wöchiger Kündigungsfrist vereinbart wurden. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 27. Februar 2015 mit Wirkung zum 15. März 2015. Die Klägerin meldete sich daraufhin erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 27. März 2015 gewährte die BA ihr aus dem ursprünglich erworbenen Arbeitslosengeldanspruch für die Zeit vom 16. März 2015 (für die Dauer von 570 Kalendertagen) bis zum 14. Oktober 2016 Arbeitslosengeld in unveränderter Höhe.

Mit Bescheid vom 15. September 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag vom 1. August 2016 hin Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Rentenbeginn - wie beantragt - am 1. November 2016 und einem Rentenzahlbetrag von 924,49 €. Auf Seite 5 des Bescheides führte die Beklagte unter der Überschrift „Was sollte ich sonst noch wissen?“ aus, dass die Klägerin nach Prüfung die Wartezeit von 540 Monaten für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge nicht erfülle. Die Zeit...

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