Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung für eine ambulante transarterielle Chemoperfusion und eine Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie. Systemversagen bei unzureichender Aufklärung durch den Vertragsarzt und Drängen zu einer privatärztlichen Honorarvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Systemversagen, das einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB 5 auslöst, liegt auch vor, wenn ein Vertragsarzt den zu behandelnden Versicherten durch unzureichende Aufklärung in dem Glauben lässt, er erbringe eine zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehörende Behandlung (hier die Chemoembolisation).
2. Der Einstandspflicht der Krankenkasse steht dann nicht entgegen, dass der Vertragsarzt dem lebensbedrohlich erkrankten Versicherten die Unterschrift unter einen Privatbehandlungsvertrag mit der Begründung abverlangt hat, er als Spezialist für die benötigte Therapie behandle nur unter dieser Bedingung. In einem solchen Fall kann der Versicherte trotz der Nichtigkeit der Privatbehandlungsvereinbarung nach § 32 SGB 1 nicht darauf verwiesen werden, die dem Behandler geleisteten Zahlungen nach § 812 BGB auf dem Zivilrechtsweg zurückzufordern.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 geändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der ambulanten Behandlung seiner Ehefrau Dr. K.A. mit Chemoperfusion bei Prof. V. in Höhe von 18.708,87 EUR zu erstatten. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine ambulante transarterielle Chemoperfusion und eine Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie (LITT).
Der Kläger ist der Ehemann und Rechtsnachfolger der 1927 geborenen und 2008 verstorbenen Dr. KA. (im Folgenden: Versicherte). Die Versicherte, welche als Zahnärztin berufstätig war, war zuletzt als Bezieherin einer Regelaltersrente der Deutschen Rentenversicherung Bund bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Sie litt an einem hepatisch, pulmonal und lymphatisch metastasierten Darmkrebs (Sigmakarzinom). Im Juli 2003 erfolgte die Operation der Primärerkrankung, eine adjuvante Chemotherapie wurde wegen Nebenwirkungen von der Versicherten abgebrochen. Im September 2004 kam es zu einem Rezidiv mit Lebermetastasen. Die daraufhin aufgenommene Chemotherapie mit dem FOLFOX-4 Protokoll wurde bei Verdacht auf Oxaliplatin-Allergie abgebrochen. Nachdem bei Kontrolluntersuchungen im Mai und Juni 2005 ein hepatischer und lymphatischer Progress der Erkrankung festgestellt worden war, leitete das Krankenhaus UV. in ZN. am 16. Juni 2005 eine Chemotherapie mit CPT-11 (Irinotecan) plus 5-Fluorouracil und Calciumfolinat ein, die jedoch nicht mehr durchgeführt wurde. Der Grund hierfür wird von dem Krankenhaus und der Versicherten unterschiedlich angegeben.
Der Hausarzt der Versicherten, Dr. ID., stellte am 17. Juni 2005 einen Überweisungsschein zur Chemoembolisation in der Universitätsklinik Frankfurt am Main zur Mit/Weiterbehandlung “Leber NPL„ (Lebertumor) aus. Das Verfahren der (transarteriellen) Chemoembolisation zielt darauf ab, die exklusive Gefäßversorgung eines Tumorgewebes mittels hoch selektiver Angiographie unter Verwendung spezieller Katheder darzustellen und sodann streng lokalisiert mit Substanzen zu durchfluten und zu verstopfen. Es wird insbesondere zur palliativen Therapie des hepatozellulären Karzinoms (HCC, Karzinom der Leber) eingesetzt. Hierzu wird intraarteriell ein Chemotherapeutikum mit einer öligen Jod-Emulsion verabreicht. Weiterhin wird die Blutzufuhr über die Gabe von Gelatineschwammpartikeln temporär unterbunden. Die Gabe der öligen Jod-Emulsion in Kombination mit dem Zytostatikum soll die Konzentration innerhalb des Tumorgewebes erhöhen. Die anschließende Okklusion mittels Gelatineschwammpartikeln vermindert wiederum das vorzeitige Abfluten des Zytostatikagemisches und verlängert die Wirksamkeit desselben. Angestrebt wird die Ausbildung einer Tumornekrose (vgl. Janssen, Transarterielle Chemoembolisation bei Hapatozellulärem Karzinom: Monozentrische Studie zu Frequenz, Häufigkeit, Zusatztherapien und klinisch-pathologischen Variablen in Beziehung zum Langzeitüberleben, Diss. med. Freiburg i. Br. 2010, S. 13, abrufbar im Internet).
Die Versicherte wurde aber nach einer Untersuchung am 17. Juni 2005 im Zentrum der Radiologie - Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie - von Prof. Dr. V. ambulant am 21. Juni 2005, 18. Juli 2005, 24. August 2005 und 13. September 2005 mit dem Verfahren der transarte...