Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Nichtanwendbarkeit deutsches Unfallversicherungsrechts. Kollisionsrecht bei grenzüberschreitendem Sachverhalt. Unfallereignis und strittiges Beschäftigungsverhältnis nach dem Inkrafttreten der EGV 883/2004. Nichtanwendbarkeit der EWGV 1408/71. polnischer Erntehelfer. keine abhängige Beschäftigung: fehlende Genehmigung gem § 284 SGB 3. Nichtvorliegen eines faktischen Arbeitsverhältnisses. selbstständige Tätigkeit als Landwirt in Polen. Wegeunfall. unversicherte Vorbereitungshandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendbarkeit der VO (EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004) in Abgrenzung zur Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 (juris: EWGV 1408/71).

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Ereignisses vom 30. August 2010 als Arbeitsunfall.

Der 1961 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Am 30. August 2010 traf der Kläger auf dem Hofgelände des Beigeladenen ein, um eine Saisonarbeit bei der Obsternte ab dem 31. August 2010 für 2 Monate aufzunehmen (amtliche Auskunft der D. - Kasse der landwirtschaftlichen Sozialversicherung - D. - vom 8. April 2015 auf der Grundlage der Angaben des Klägers vom 31. März 2015, Bl. 165 Verwaltungsakte - VA -, Unfallanzeige des Beigeladenen vom 17. Dezember 2010, Bl. 56 VA, und Angaben des Beigeladenen in den mündlichen Verhandlungen vom 23. Februar 2016 und 28. November 2017). Der Kläger gab gegenüber der D. an, am 30. August 2010 abends auf dem Gelände des Beigeladenen von einer Treppe ohne Treppengeländer gestürzt zu sein (amtliche Auskunft der D. a.a.O.). Zeugen, die den Unfallhergang beschreiben können, gibt es nach den Angaben des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2017 und ausweislich des von ihm übermittelten polizeilichen Ermittlungsberichts nicht. Der Kläger wurde von dem Beigeladenen am 31. August 2010, dem geplanten Tag des Arbeitsbeginns, nach kurzer Suche auf dem Betriebsgelände im hinteren Bereich der Lagerhalle aufgefunden. Nach den Angaben des Beigeladenen war er ansprechbar und sagte, er sei müde und könne nicht arbeiten, weshalb er in den Schlafraum verbracht wurde. Da sich sein Zustand verschlechterte, wurde der Notarzt geholt. Nach dem ärztlichen Bericht des O.klinikums O. vom 31. August 2010, Dr. E., und dessen Durchgangsarztbericht vom 1. September 2010 hatte der am 31. August 2010 um 12:35 Uhr aufgenommene Kläger ein Schädel-Hirntrauma mit schwerer intracerebraler Einblutung frontal sowie parieto-temporal links, eine Schädelbasisfraktur rechts und eine Calcaneusfraktur links erlitten. Am 29. September 2010 wurde er in die neurologische Anschlussheilbehandlung entlassen (ärztlicher Bericht des Universitätsklinikums Freiburg vom 29. September 2010, Prof. Dr. F. u. a.). Zur Arbeitsaufnahme bei dem Beigeladenen kam es nicht mehr. Die erforderliche Arbeitsgenehmigung konnte infolge des Unfalls beim Arbeitsamt nicht mehr eingeholt werden. Die Einstellungszusage/Arbeitsvertrag vom 25. Juli 2010 (Bl. 58 VA) hatte der Beigeladene bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingereicht, die am 2. August 2010 die Voraussetzungen für eine Ersatzvermittlung bestätigte (Gültigkeit bis 31. Dezember 2010). Als Arbeitsbeginn ist der 1. September 2010 angegeben. Des Weiteren ist angekreuzt: "oder ab dem Tag der Anreise" "oder auf Abruf". Die Einstellungszusage ist nicht vom Kläger unterschrieben.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 lehnte die Beklagte die Feststellung des Ereignisses vom 30. August 2010 als Arbeitsunfall ab und führte aus, Entschädigungsleistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (Heilbehandlung, Verletztengeld, Verletztenrente) seien nicht zu erbringen. Nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliege eine Person, die in einem Mitgliedsstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübe, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates. Aufgrund des fehlenden Arbeitsverhältnisses zum Unfallzeitpunkt habe der Kläger nicht dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterlegen. Das Arbeitsverhältnis habe laut der von der Agentur für Arbeit bestätigten Einstellungszusage erst am 1. September 2010 beginnen sollen. Darüber hinaus sei das Unfallereignis nicht während einer dem landwirtschaftlichen Unternehmen dienlichen Tätigkeit eingetreten. Der Kläger habe aufgrund der selbständigen Tätigkeit in Polen zum Unfallzeitpunkt allein polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterlegen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 18. Dezember 2014 Widerspruch ein.

Die Beklagte holte eine amtliche Auskunft der D. vom 8. April 2015 ein. Danach war der Kläger in Polen als Landwirt vom 3. Februar 1998 bis 2. Mai 2004, vom 21. Juni 2004 bis 16. Mai 2005 und vom 16. Juli 2005 bi...

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