Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Höhe der Verletztenrente. abstrakte Schadensbemessung. Neuberechnung des JAV. abgeschlossenes Chemiestudium. Teilzeittätigkeit als Doktorand bzw als wissenschaftliche Hilfskraft im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls. Abgrenzung: Berufsausbildung. berufliche Weiterbildung. Graduiertenstudium. erhebliche Unbilligkeit gem § 577 RVO. vollschichtige Berufstätigkeit als Diplom-Chemiker
Orientierungssatz
1. Verunglückt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Studienabschluss (Diplomchemiker) während seines Graduiertenstudiums, ist der Jahresarbeitsverdienst nach dem gem § 571 Abs 1 RVO relevanten Jahreszeitraum vor dem Unfalltag zu berechnen (hier: Einkünfte aus Teilzeitarbeit als wissenschaftliche Hilfskraft). Ein Anspruch auf Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes entsprechend dem Einkommen eines promovierten Chemikers in Vollzeitarbeit ist weder gem § 573 Abs 1 RVO noch gem § 577 RVO gegeben.
2. Die JAV-Festsetzung ist mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt nach § 31 SGB 10, sondern lediglich eine verwaltungsinterne Feststellung eines Wertfaktors im Rahmen der Vorbereitung der Feststellung des Wertes des Rechtes auf Verletztenrente (vgl BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 14/11 R).
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Oktober 2011 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger streitet um die Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).
Der 1954 geborene Kläger kam auf dem Weg zu seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität C-Stadt am 20. September 1983 mit dem Motorrad von der Fahrbahn ab, stürzte und zog sich eine komplette Querschnittslähmung ab dem 4. Brustwirbelkörper zu verbunden mit dem entsprechenden neurologischen Ausfällen. Er war seit 15. Juli 1981 als “wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss„ an der C-Universität C-Stadt im Fachbereich Chemie mit 92 Stunden im Monat zu einem Jahreseinkommen von 21.126,58 DM brutto zuzüglich 1.902,83 DM Weihnachtsgeld (entsprechend einer halben A-13-Stelle) beschäftigt. Das vorangegangene Studium der Chemie hatte er als Diplom-Chemiker abgeschlossen. Er war verheiratet und hatte 3 Kinder. Nach Auskunft des Arbeitgebers vom 5. Dezember 1983 arbeitete der Kläger im Rahmen eines Sonderforschungsprojektes, wobei die über 92 Stunden hinausgehende monatliche Arbeitszeit laut Schreiben des Prof. Dr. D. vom 28. November 1983 zur Arbeit an seiner Doktorarbeit zur Verfügung stand. Nach einer Bescheinigung vom 14. Dezember 1983 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis Ende 1983 befristet, wurde jedoch im Hinblick auf den Unfall bis Juli 1985 verlängert, so dass der Kläger seine Promotion am 13. Februar 1985 zum Abschluss bringen konnte. Die Möglichkeit einer Dauerbeschäftigung im Fachbereich Chemie hatte nach Mitteilung des Arbeitgebers vom 24. Februar 1985 nie bestanden. Ohne den Unfall hatte der Kläger den Abschluss der Promotion in einem Zeitraum von 3 - 6 Monaten bzw. im Februar 1984 geplant. Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis an der C-Universität C-Stadt hatte der Kläger zunächst eine befristete Arbeitsstelle als promovierter Diplomchemiker am Institut für Strahlenhygiene bei der Außenstelle des Bundesgesundheitsamtes in F-Stadt. Von dort wurde er zum Jahresanfang 1989 an die Dienststelle des Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in E-Stadt versetzt, wo er seit 1. Juni 2002 einen Telearbeitsplatz innehat. Im Jahr 2009 ist er mit 55 Jahren als Schwerbehinderter in Altersteilzeit gegangen. Nach Erleiden eines Unfalles im Februar 2012 mit Frakturen der linken unteren Extremität ist er seit 2013 von zu Hause aus tätig. Er ist seit 1994 verbeamtet und wird nach Ablauf der Altersteilzeit eine Pension beziehen (Angaben des Klägers im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013).
Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 23. August 1985 Verletztenrente ab 1. Juni 1984 aufgrund einer MdE von 100 v.H. und ging dabei von einem Jahresarbeitsverdienst von 23.029,41 DM bzw. 23.331,09 DM aus. Als Unfallfolgen stellte sie fest:
Komplette Querschnittlähmung unterhalb Th 4; neurogene Blasen- und Mastdarmlähmung.
Erläuternd hat die Beklagte im Erörterungstermin vom 22. Januar 2013 ausgeführt, sie habe den Jahresarbeitsverdienst des Klägers nach den Einkünften aus der halben A-13-Stelle zu Grunde gelegt, da diese Einkünfte den Mindestjahresarbeitsverdienst überstiegen hätten.
Am 10. Januar 1986 beantragte der Kläger die Neuberechnung der Unfallrente nach § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) mit der Begründung, seine Promotion sei als berufliche Qualifikation fü...