Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhaus. Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur zeitnahen Überprüfung der Krankenhausbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Die vom BSG in dessen Urteil vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R = BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3) wegen der weiten Fassung des § 275 Abs 1c SGB 5 vorgenommene einschränkende Auslegung ist zur Wahrung ihres Ausnahmecharakters wie folgt zu konkretisieren:
1. Das Krankenhaus hat nur in solchen Fällen die wesentlichen Gründe für die Einschaltung des MDK gesetzt, in denen die der Krankenkasse zum Zeitpunkt der Beauftragung des MDK vorliegenden Unterlagen (§ 301 Abs 1 SGB 5) einen nachvollziehbaren Anlass zur Einleitung einer MDK-Einzelfallprüfung geben konnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn die übermittelten Diagnosedaten nicht zueinander passen oder die Daten in sonstiger Weise auf Inkohärenzen hindeuten, zB wenn die als durchgeführt mitgeteilten Prozeduren nicht mit den durch Haupt- und Nebendiagnosen ausgewiesenen Krankheitsbildern harmonieren. Gleiches gilt für die Veranlassung von MDK-Prüfungen zur Klärung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung bzw der Krankenhausverweildauer. Es müssen bei objektiver ex-ante Betrachtung Gesichtspunkte vorliegen, welche eine stationäre Aufnahme überhaupt bzw deren Dauer als nicht angemessen erscheinen lassen.
2. Auf die Einleitung einer anlassbezogenen Prüfung seitens der Krankenkasse kann zwanglos geschlossen werden, wenn in dem an den MDK gerichteten Prüfauftrag Auffälligkeiten der oben beschriebenen Art konkret benannt wurden. Bei einer solchen Sachlage entsteht ein Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung der Aufwandspauschale auch dann nicht, wenn die Prüfung durch den MDK unter Auswertung von medizinischen Behandlungsunterlagen die Widersprüche aufklären kann und es letztlich bei dem angesetzten DRG-Code und Rechnungsbetrag bleibt. Allerdings obliegt es der Krankenkasse in einem solchen Fall darzulegen und ggf nachzuweisen, dass objektiv bestehende Ungereimtheiten in den vom Krankenhaus übermittelten Daten und Informationen Grund für die Einschaltung des MDK waren.
3. Etwas anderes mag dann gelten, wenn die übermittelten Daten auf das Vorliegen eines offensichtlichen Codierfehlers hinweisen, dessen Ursache wahrscheinlich in einem bloßen “Zahlendreher„ liegt. In einem solchen Fall liegt es nahe, durch schlichte Nachfrage bei dem Krankenhaus vor Einschaltung des MDK zu klären, ob es sich - wie naheliegend - verhält.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. März 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entrichtung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Höhe von 100,00 € nebst Zinsen.
Die Klägerin betreibt das Stadtkrankenhaus A-Stadt, das in den Landeskrankenhausplan des Landes Hessen aufgenommen ist. In diesem Krankenhaus war die 1919 geborene Frau D. D., die bei der Beklagten krankenversichert ist (im Folgenden: Versicherte), am 08.10.2007 aufgenommen und bis zum 23.10.2007 stationär in der geriatrischen Abteilung behandelt worden. Unstreitig bestand bei der Versicherten eine Humerusfraktur (Bruch im Bereich des Oberarms). Am 07.11.2007 ging bei der Beklagten die Krankenhausrechnung der Klägerin vom 06.11.2007 ein, welche nach dem G-DRG-System (German Diagnosis Related Groups-Systems) erstellt worden war. Die Klägerin hatte unter Zugrundelegung der G-DRG Version 2007 den Code I41Z angesetzt, der für “Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen an Muskel-Skelett-System und Bindegewebe„ steht.
Voraussetzung für die Eingruppierung der stationären Behandlung eines Versicherten in eine DRG-Fallgruppe ist die Verschlüsselung einer Hauptdiagnose und ggf. von behandlungsrelevanten Nebendiagnosen nach dem ICD-Schlüssel für die Diagnosen nach der deutschen Anpassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme für die Zwecke des § 275 SGB V sowie der wesentlichen am Patienten durchgeführten Leistungen (Prozeduren). Für Letzteres ist der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) für die Zwecke des § 301 SGB V anzuwenden. Zur Gewähr einer einheitlichen Verschlüsselung ist auf das Regelwerk Deutsche Kodierrichtlinien (DRK) zurückzugreifen. Dieses gibt vor, wie aus den Diagnosen und Prozeduren sowie dem Alter, Geschlecht, Gewichtsangabe bei Neugeborenen, Zahl der Stunden maschineller Beatmung, der Krankenhausverweildauer und der Entlassungsart die DRG-Ermittlung über einen vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) erstellten und veröffentlichten Algorithmus (festgelegt in Definitionshandbüchern) zu erfolgen hat. Dieser Algorithmus ist in ED...