Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
Orientierungssatz
1. Kann ein Versicherter, der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, noch unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen 6 Stunden täglich erwerbsfähig sein, so ist die Bemessung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht geboten.
2. Erst wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter herausfällt, ist die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich.
3. Bei einem Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB 6 muss der Versicherte auch einen zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (BSG Urteil vom 20. 1. 1976, 5/12 RJ 132/75).
4. Ein Facharbeiter muss sich auf Berufe verweisen lassen, die eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten Dauer erfordern. Ebenso auf Tätigkeiten aus der Gruppe der ungelernten Arbeiter, soweit sich diese im Vergleich mit anderen Tätigkeiten besonders herausheben und tariflich etwa gleich wie die sonstigen Ausbildungsberufe eingestuft sind.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. August 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Der 1957 geborene Kläger hat in den Jahren 1973 bis 1976 eine Ausbildung als Rollladenbauer absolviert und erfolgreich mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Nachfolgend war er bis 2011 als Fenster- und Rollladenbauer tätig. Seit dem 1. August 2011 ist der Kläger arbeitssuchend gemeldet. Er bezieht seit dem 1. Januar 2013 Arbeitslosengeld II.
Der Kläger stellte am 6. August 2013 Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und gab dabei an, er halte sich seit 2011 wegen eines Bandscheibenvorfalles sowie chronischer Enddarmprobleme für erwerbsgemindert. Er könne keinerlei Arbeiten mehr verrichten.
Die Beklagte wertete diverse Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie das für das Jobcenter erstellte Gutachten des Prof. Dr. C. vom 14. März 2013 aus und veranlasste sodann die Erstellung eines Gutachtens ihres sozialmedizinischen Dienstes vom 5. Dezember 2013 (Herr D., Internist, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen). Der Gutachter stellte die Diagnosen
1. schmerzhafte Belastungsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen,
2. chronisches Analekzem,
3. Knorpelschaden der Kniescheibe und möglicher weiterer Kniebinnenschaden links,
4. angeborene Sehminderung des linken Auges,
5. medikamentös behandelter Bluthochdruck,
6. Ekzemleiden,
7. Senkspreizfuß beidseits,
8. Handgelenksverschleiß rechts,
9. Hörminderung beidseits, Tinnitus
und führte aus, aufgrund der beschriebenen Leiden sei das Leistungsvermögen eingeschränkt, nicht aber aufgehoben. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen und zeitweise im Stehen und Gehen vollschichtig bzw. 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Dabei seien die folgenden qualitativen Einschränkungen zu beachten: Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, mit der Möglichkeit, gelegentlich aufzustehen, ohne häufiges Bücken, ohne ständig wiederholende gleichförmige Bewegungen mit den Händen, ohne Einwirkung durch Lärm, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen, ohne Anforderungen an das räumliche Sehvermögen, in wohl temperierten Räumen, ohne Nachtschicht. Darüber hinaus führte der Gutachter D. aus, soweit Prof. Dr. C. in seinem für das Jobcenter erstellten Gutachten von einem 3- bis unter 6-stündigen Leistungsvermögen ausgegangen sei, fehlten dem sogenannten Gutachten Anamnese, Befunde, Diagnosen und Epikrise, sodass dazu nicht sinnvoll Stellung genommen werden könne.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 11. Dezember 2013 den Rentenantrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, der Kläger erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Nach der medizinischen Beurteilung könne er noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Der vor dem 2. Januar 1961 geborene Kläger erfülle auch nicht die Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der Kläger erhob Widerspruch am 9. Januar 2014, den er in der Folgezeit nicht weiter begründete.
Durch Widerspruchsbescheid vom 23. April 2014 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wege...