Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichsgesetzliche Beitragszeiten bei früheren deutschen Staatsangehörigen
Orientierungssatz
1. Zur Frage, wann jemand, der keinen Wohnsitz im Inland hat, vor 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und später eine andere erworben hat, heute als Deutscher iS des Art 116 GG anzusehen ist.
2. Da gegenüber im Ausland lebenden Ausländern eine auf Staatsangehörigkeit oder Einwohnereigenschaft beruhende besondere Fürsorgepflicht des Bundesgesetzgebers nicht besteht, verstößt er nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn er den Eingliederungsgedanken und damit die Berücksichtigung der zur reichsgesetzlichen Rentenversicherung außerhalb des Bundesgebiets entrichteten Beiträge nur bei im Inland lebenden Personen vorsieht, nicht aber bei im Ausland lebenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.07.1994; Aktenzeichen S-16/J-2368/91) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Juli 1994 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten höhere Leistungen aus der Rentenversicherung.
Der 1922 in V. in der ehemaligen Tschechoslowakei (heutige Tschechische Republik) geborene Kläger war nach seinen Angaben wie folgt beschäftigt:
September 1939 im Eisenwerk T. Mai 1940 bis Juli 1940 in der Umschulungswerkstätte der Luftwaffe in B. August 1940 bis Mai 1941 in der Werft des Fliegerhorstes W. Juni 1941 in der Werft des Fliegerhorstes G. Juli 1941 bis März 1942 in einer Werft der Luftwaffe an der Ostfront April 1942 bis Juli 1942 in der Werft des Fliegerhorstes L. August 1942 bis Dezember 1943 in der Werftabteilung der Luftwaffe in L. Frankreich.
Ab 1. Januar 1944 leistete der Kläger militärischen Dienst in der Deutschen Wehrmacht mit anschließender Kriegsgefangenschaft, aus der er am 25. September 1945 entlassen wurde. Seither lebt der Kläger wieder in der Tschechischen Republik.
Am 6. Februar 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Altersruhegeld und legte insoweit u.a. einen Versicherungs- und Beschäftigungsnachweis vor.
Mit Bescheid vom 20. November 1989 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld ab 1. Oktober 1987 in Höhe von 22,30 DM monatlich.
Hiergegen erhob der Kläger am 19. Februar 1990 Widerspruch und machte geltend, dass die Rentenberechnung nicht zutreffend erfolgt sein könne. Insoweit legte er ein Sammelbuch mit Aufrechnungsbescheinigungen Nrn. 1 und 2 lautend auf die Landesversicherungsanstalt Schlesien und weitere Unterlagen über seine Tätigkeit als Flugzeugschlosser vor.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13. August 1990 das Altersruhegeld des Klägers auf der Grundlage der eingereichten Originalunterlagen unter Berücksichtigung von 15 Kalendermonaten (1, 2 Versicherungsjahre) bei der Ermittlung des Zahlbetrages neu fest. Die Beklagte errechnete einen monatlichen Rentenzahlbetrag in Höhe von nunmehr 31,20 DM unter alleiniger Berücksichtigung der vorhandenen Beitragszeiten.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 1990 erklärte der Kläger, der Widerspruch sei nicht erledigt. Die ausgerechnete Höhe könne nicht stimmen. Die Rente bei anderen Mitarbeitern in demselben Fall sei mehrmals größer.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. November 1989, abgeändert durch den Bescheid vom 13. August 1990 mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 1991 als unbegründet zurück. Sie führte zur Begründung aus, bei der Feststellung des Jahresbetrages der Rente seien gemäß § 1316 Abs. 2 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) lediglich die Beitragszeiten zu berücksichtigen gewesen, die vom Kläger im Bundesgebiet zurückgelegt worden seien. Es handele sich dabei um die Zeit vom August 1940 bis Juni 1941 in W. sowie von April 1942 bis Juli 1942 in L. bei H.. Die übrigen Beitragszeiten wie auch die Ersatzzeit und die pauschale Ausfallzeit könnten lediglich bis zur Ermittlung der persönlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden. Der Zahlbetrag der Rente sei nach der Vorschrift des § 1323 RVO festzustellen, wonach ein berechtigter Ausländer 70 v.H. des Zahlbetrages, der sich nach der Anwendung der §§ 1318-1321 RVO ergebe, erhalte.
Mit seiner am 19. September 1991 - über die Beklagte - vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass seine Versicherungszeiten an der Ostfront und in Frankreich angerechnet werden müssten. Auch seien die Monatsverdienste zu gering angesetzt.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat umfangreiche Ermittlungen angestellt. Ihm hat ein vorläufiger Ausweis vom 2. August 1941 vorgelegen, wonach der Vater des Klägers in die deutsche Volksliste aufgenommen war und die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf besaß. Der Ausweis galt für die oben genannte Person (Vater des Klägers) und ihre nach dem 26. Oktober 1921 geborenen Kinder. Des Weitere...