Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliche Krankenpflege. Erforderlichkeit der Behandlungspflege. Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherte hat Anspruch auf Erstattung der Kosten der häuslichen Krankenpflege für die ärztlich verordnete intra muskuläre Injektion von Arzneimitteln.
2. Dem Anspruch des Versicherten auf Erstattung der Kosten der häuslichen Krankenpflege steht nicht entgegen, wenn die ärztlich verordneten Arzneimittel nicht verschreibungspflichtig sind.
3. Die zum 1.4.2004 eingetretene Einschränkung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung für die Kosten der nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel erfasst nur die Anschaffungskosten der nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel, jedoch nicht die im Rahmen des ärztlichen Behandlungsplanes erforderliche Gabe des Arzneimittels im Rahmen der ärztlich verordneten häuslichen Krankenpflege.
4. Die Arzneimittelversorgung und die häusliche Krankenpflege sind von einander unabhängige Leistungsbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung. Die zum 1.4.2004 für den Bereich der Arzneimittelversorgung gesetzlich definierte Leistungseinschränkung kann nicht automatisch auf die häusliche Krankenpflege übertragen werden.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Juni 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der intramuskulären Verabreichung des ärztlich verordneten B 12 Präparates und Folsäure in der Zeit vom 18. Mai bis zum 1. Juni 2006 gemäß der Rechnung des X. Pflegedienstes vom 6. Juni 2006 in Höhe von 29,47 € zu erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten der Inanspruchnahme eines Pflegedienstes für die Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente mittels intramuskulärer (i. m.) Injektionen streitig.
Die Klägerin, geboren im Jahr 1918, ist bei der Beklagten krankenversichert. Der Hausarzt verordnete am 5. Mai 2006 ihr für den Zeitraum 18. Mai bis 1. Juni 2006 einmal wöchentlich die i. m. Injektion von B 12 und Folsäure in Form der häuslichen Krankenpflege wegen Altersgebrechlichkeit, Inappetenz und Gehstörungen zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Die Medikamente B 12 und Folsäure verordnete der Hausarzt der Klägerin auf einem Privatrezept.
Den Antrag der Klägerin vom 10. Mai 2006, die Kosten der Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes für die i. m. Injektion zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2006 ab.
Dagegen erhob die Klägerin am 18. Mai 2006 Widerspruch und verwies auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 2006 (Az.: L 5 KR 14/05).
Der in Anspruch genommene Pflegedienst (X. Pflegedienst) stellte die Kosten der Fahrten und der Injektionen im verordneten Zeitraum in Höhe von 29,47 € in Rechnung (Rechnung vom 6. Juni 2006).
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2006 als unbegründet zurück. Im Wesentlichen führte sie dazu aus, nach Punkt 26 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung häuslicher Krankenpflege seien die Voraussetzungen geregelt, unter denen die Medikamentengabe als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Form der häuslichen Krankenpflege anzusehen sei. Danach müsse ein ärztlich verordnetes Medikament gerichtet oder verabreicht werden. Daraus folge, dass es sich um ein zu Lasten der Krankenkasse ärztlich verordnetes Medikament handeln müsse. Mit Einführung des GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) zum 1. Januar 2004 seien nur noch verschreibungspflichtige Arzneimittel nach §§ 31, 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Leistungspflicht der GKV erfasst. Die GKV sei für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nur dann leistungspflichtig, wenn diese im sogenannten Ausnahmekatalog vom 16. März 2004 (Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V) enthalten seien. Vorliegend fehle die Verordnungsfähigkeit der Medikamente zu Lasten der Krankenkasse und sie seien in dem Ausnahmekatalog nicht enthalten. Daraus folge, dass auch die Kosten der häuslichen Krankenpflege zur Verabreichung dieser Medikamente nicht übernommen werden können. Im Übrigen sei die Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz nicht verbindlich.
Dagegen hat die Klägerin am 4. September 2006 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, da ihr Hausarzt die Verabreichung der Medikamente im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verordnet habe, sei es unerheblich, dass die Medikamente nicht verschreibungspflichtig seien.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Jun...