Leitsatz

Wird in der Tages- oder der Fachpresse über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts berichtet, die im Falle ihrer Verwirklichung das von dem Mandanten des Beraters erstrebte Ziel unter Umständen vereiteln oder beeinträchtigen, kann der Steuerberater gehalten sein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den näheren Inhalt und den Verfahrensstand solcher Überlegungen zu unterrichten.

 

Sachverhalt

Der Kläger war für einen Einzelunternehmer und dessen GmbH über mehrere Jahre als Steuerberater tätig. Das Einzelunternehmen erzielte erhebliche Gewinne, die GmbH bedeutende Verluste. Deshalb sollten beide Unternehmen auf ein neues Einzelunternehmen verschmolzen und die steuerbaren Gewinne durch den rücktragbaren Übernahmeverlust ausgeglichen werden. Die Verlustverrechnung scheiterte aber an der zum 5.8.1997 rückwirkend eingetretenen Änderung von § 4 Abs. 5 Satz 1 und § 27 Abs. 3 UmwStG.

Der Kläger verlangt vom beklagten Einzelunternehmer eine Vergütung für seine Tätigkeit als Steuerberater. Der Beklagte rechnet dagegen mit einem Schadensersatzanspruch auf, den er aus pflichtwidrig verspäteter Durchführung der Verschmelzung herleitet. Zur Begründung trägt er vor, der Kläger habe nach Presseberichten die bevorstehende Beschränkung der Verlustverrechnung vorhersehen müssen, gleichwohl aber nicht auf beschleunigte Durchführung der Verschmelzung hingewirkt. Der BGH gab der Honorarklage statt.

 

Entscheidung

Der Steuerberater ist im Rahmen des ihm erteilten Auftrags verpflichtet, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zum angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen[1]. Die mandatsbezogen erheblichen Gesetzes- und Rechtskenntnisse muss der Steuerberater besitzen oder sich ungesäumt verschaffen. Neue oder geänderte Rechtsnormen hat er in diesem Rahmen zu ermitteln[2].

Wird in der Presse über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts berichtet, die im Falle ihrer Verwirklichung von dem Mandanten des Beraters erstrebte Ziele vereiteln oder beeinträchtigen können, kann der Steuerberater gehalten sein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den näheren Inhalt und den Verfahrensstand solcher Überlegungen zu unterrichten, um den Mandanten optimal zu beraten[3].

Diese allgemeinen Grundsätze sah der BGH hier als nicht verletzt an. Die vom Beklagten vorgelegten Presseveröffentlichungen stuften die Richter als zu allgemein – und damit als nicht geeignete Auslöser für eine intensive Beratung – ein. Außerdem verwiesen sie auf die einschlägige Literatur zum seinerzeit umgesetzten Gesetzesvorhaben. Übereinstimmend sei beanstandet worden, dass der Gesetzgeber "ohne jede Vorankündigung – in einer Art Überraschungsaktion – völlig unvorbereitet, mit einer Blitzaktion" eine einschneidende Gesetzesänderung rückwirkend beschlossen habe[4] Dem Kläger könne aber nicht eine vom gesamten Berufsstand geteilte Überraschung als Folge einer Verletzung der erforderlichen Sorgfalt i.S. von § 276 BGB vorgeworfen werden.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Urteil vom 15.7.2004, IX ZR 472/00

[2] Vgl. BGH-Beschluss vom 30.6.1971, IV ZB 41 /71, NJW 1971, S. 1704
[3] Vgl. BGH-Urteil vom 30.9.1993, IX ZR 211/92, WM 1993, S. 2129
[4] So einige diesbezügliche Formulierungen; vgl. etwa Rödder, Wie der Gesetzgeber rückwirkend steuerliche Dispositionsgrundlagen zerstört, DStR 1997, S. 1425; Goutier/Müller, Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Steuerverschärfungsvorschriften des "Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform", BB 1997, S. 2242; Schwedhelm/Olbing, Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform, Stbg 1997, S. 385.

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