Leitsatz
- Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus einer selbstständigen Tätigkeit frei, können auf die selbstständige Tätigkeit bezogene vertragliche Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Erklärung beim Schuldner entstehen, nur gegen den Schuldner und nicht gegen die Masse verfolgt werden.
- Versäumt der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die Kündigung eines vom Schuldner begründeten Dauerschuldverhältnisses, trifft ihn eine Schadensersatzpflicht nur für solche Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte.
(amtliche Leitsätze des BGH)
Normenkette
InsO §§ 35 Abs. 2, 61
Kommentar
Am 20.1.2009 wurde über das Vermögen des Mieters von Räumen zum Betrieb einer Autoreparaturwerkstatt das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 19.2.2009 erklärte der Insolvenzverwalter, dass er das Vermögen des Mieters aus dessen gewerblicher Tätigkeit freigebe. Die Miete für die Werkstatt wurde in der Folgezeit nicht bezahlt. Mit Schreiben vom 16.10.2009 hat der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis ordentlich gekündigt. Der Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Miete aus der Insolvenzmasse konnte wegen der Unzulänglichkeit der Masse nicht realisiert werden. Der Vermieter nimmt den Insolvenzverwalter nunmehr auf Schadensersatz wegen der verspäteten Kündigung in Anspruch.
Der Insolvenzverwalter haftet auf Schadensersatz, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann (§ 61 InsO). Diese Regelung gilt auch, wenn der Insolvenzverwalter die rechtlich zulässige Kündigung eines Mietverhältnisses unterlässt, obwohl er erkennt, dass die Insolvenzmasse zur Erfüllung der Mietforderung nicht ausreicht.
Insolvenzmasse haftet
Grundsätzlich gilt, dass Mietforderungen aus der Insolvenzmasse zu erfüllen sind, wenn der Insolvenzverwalter die Mietsache in Anspruch nimmt. Regelmäßig ist hiervon auszugehen, wenn der Schuldner im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter ein in den gemieteten Räumen betriebenes Gewerbe fortführt. In einem solchen Fall haftet die Insolvenzmasse für den Mietzins bis zur Beendigung des Mietverhältnisses.
Hier stellt sich die Frage, wie sich die am 19.2.2009 erfolgte Freigabeerklärung auf die Haftung der Insolvenzmasse auswirkt. Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus, kann der Insolvenzverwalter gem. § 35 Abs. 2 InsO gegenüber dem Schuldner erklären, dass Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Teilweise wird vertreten, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen bis zur wirksamen Kündigung weiterhin die Masse treffen (z.B. Uhlenbruck/Hirte, InsO § 35 Rdn. 101). Nach anderer Ansicht können diese Verbindlichkeiten nach dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung nur noch gegen den Schuldner geltend gemacht werden (z.B. LG Krefeld, Urteil v. 24.2.2010, 2 O 346/09, NZI 2010 S. 485).
Der BGH folgt dieser Ansicht. Im Entscheidungsfall führt dies zum Ergebnis, dass die Masse lediglich für diejenigen Mietforderungen haftet, die bis zum 19.2.2009 entstanden sind. Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter erst am 16.10.2009 gekündigt hat, spielt keine Rolle; deshalb kann hieraus auch kein Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter hergeleitet werden.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil v. 9.2.2012, IX ZR 75/11, NJW 2012 S. 1361