OFD Niedersachsen, Verfügung v. 10.11.2015, S 0550 - 1909 - St 151
1. Sinn und Zweck
Rechtshandlungen, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurden und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, unterliegen der Insolvenzanfechtung (§ 129 Abs. 1 InsO).
Zweck der Insolvenzanfechtung ist die Anreicherung der Insolvenzmasse, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dazu sollen die Vermögensgegenstände, die vom Schuldner oder vom Gläubiger unter dem Druck der Unternehmenskrise dem Schuldnervermögen entzogen wurden, in die – zur gemeinschaftlichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger dienende – Insolvenzmasse zurückgeführt werden.
2. Anfechtungsberechtigter
Anfechtungsberechtigter ist regelmäßig der Insolvenzverwalter des eröffneten Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO). Demzufolge sind vorläufige Insolvenzverwalter nicht zur Anfechtung berechtigt. Machen Insolvenzverwalter, Sachwalter, Nachlassverwalter oder einzelne Insolvenzgläubiger Anfechtungsansprüche gegenüber dem Finanzamt geltend und verlangen die Rückzahlung vereinnahmter Steuern, die Freigabe entgegengenommener Sicherheiten oder die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen, so ist zunächst die formelle Berechtigung des Antragstellers zu prüfen. Hierzu kann sich das Finanzamt den Insolvenzeröffnungsbeschluss des Amtsgerichts vorlegen lassen. Aus dem Beschluss ergibt sich,
- welche Art von Insolvenzverfahren eröffnet wurde und
- wer zum Insolvenzverwalter, Sachwalter, Nachlassverwalter oder Treuhänder bestellt wurde.
In Verbraucherinsolvenzverfahren, die bis zum 30.6.2014 beantragt worden sind, ist nicht der Treuhänder, sondern jeder Insolvenzgläubiger zur Anfechtung berechtigt (§ 313 Abs. 2 InsO). In diesem Fall hat sich das Finanzamt durch die Vorlage einer Abschrift der Insolvenztabelle oder eines vollstreckbaren Titels über die Insolvenzgläubigereigenschaft des Antragstellers zu vergewissern.
Die Anfechtung ist auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit möglich (BGH vom 19.7.2001, IX ZR 36/99).
Der Anfechtungsanspruch ist zwar nicht davon abhängig, dass der Anfechtende auch bestehende Anfechtungsansprüche gegenüber weiteren Anfechtungsgegnern geltend macht. Da jedoch die Insolvenzverwalter erfahrungsgemäß Anfechtungsansprüche nur gegenüber bestimmten Gläubigergruppen (Finanzämter, Sozialversicherungsträger) verfolgen, sollte gerade hier ihre Tätigkeit besonders kritisch beobachtet werden. Bei Vorliegen entsprechender Erkenntnisse muss darauf hingewirkt werden, dass der Insolvenzverwalter auch anfechtbare Rechtshandlungen, die anderen Gläubigern zugute gekommen sind, verfolgt.
Verfolgt er solche Ansprüche nicht, kann sich eine Haftung nach § 60 InsO ergeben.
3. Anfechtungsgegner
Anfechtungsgegner ist der durch die angefochtene Rechtshandlung Begünstigte. Im Bereich der Finanzverwaltung ist dies regelmäßig das jeweilige Bundesland. Die Anfechtung erfolgt in der Praxis direkt gegenüber dem zuständigen Finanzamt.
Bei abgabenrechtlichem Zuständigkeitswechsel zwischen verschiedenen Bundesländern bleibt gleichwohl das Land, das die angefochtene Zahlung ursprünglich erhalten hatte, Anfechtungsgegner (BGH vom 17.12.2009, IX ZR 142/08). Der Zuständigkeitswechsel nach § 26 AO betrifft zwar das Steuerverhältnis, aber nicht den bei der Anfechtung in Rede stehenden bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsanspruch.
Unter Bezungnahme auf die Erörterungen der AO-Referatsleiter auf der Sitzung 1/2013 vom 6. bis 8.3.2013 (IV A 3 – S 0070/12/10004-01) ist hierbei Folgendes zu beachten:
Erhält ein Land insolvenzrechtlich anfechtbare Geldzahlungen und erfolgt anschließend ein steuerlicher Zuständigkeitswechsel nach § 26 AO, ist das Land insolvenzrechtlicher Anfechtungsgegner, das die angefochtenen Zahlungen erhalten hat und nicht das steuerlich neu zuständige Land. Soweit die Insolvenzanfechtung erfolgreich ist, muss das steuerlich nicht mehr zuständige Bundesland die erhaltenen Gelder an den Insolvenzverwalter zurückzahlen. Das bisher steuerlich zuständige Land hat keinen Anspruch auf Erstattung der nach Anfechtung zurückgezahlten Steuern gegenüber dem neu zuständigen Land.
Hat das Land, das die angefochtenen Zahlungen damals erhalten hatte, den an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlenden Betrag – z.B. wegen einer im Zahlungszeitpunkt bereits in die Wege geleiteten Aktenabgabe – bereits an das steuerlich neu zuständige Land weitergeleitet, treffen die beteiligten Länder eine einvernehmliche Ausgleichsregelung. (D. h. es erfolgt die Rückzahlung des zunächst weitergeleiteten Betrags.)
Der wiederauflebende Steueranspruch ist vom steuerlich neu zuständigen Finanzamt im Insolvenzverfahren geltend zu machen. § 144 Abs. 1 InsO verdrängt die Zuständigkeitsregelungen der AO nicht; maßgeblich sind neben den Regelungen über die Ertragshoheit (Art. 106 Abs. 3 GG) die §§ 17 ff. und § 252 AO. Die Vorschrift des § 26 Satz 3 Nr. 2 AO gilt hier nicht, weil der Zuständigkeitswechsel bereits vollzogen worden ist.
4. Anfechtungsanspruch – Rückgewähranspruch
Im Unterschied zum Duldungsanspruch na...