Nina Lenz-Brendel, Julia Roglmeier
3.1 Grundsatz
Zur Anwendung kommt nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ das Recht des Landes, in dem der Errichtende zum Zeitpunkt der Vereinbarung oder der Vornahme des Rechtsgeschäfts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Sachnormverweisung, Art. 19 ErwSÜ). Der unbestimmte Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist dabei nicht näher definiert. Er ist bezogen auf den Einzelfall auszulegen. Im Wesentlichen kommt es dabei auf das soziale Umfeld des Betroffenen und dessen Bindung an den Aufenthaltsort an.
Das Vorsorgevollmachtsstatut ist unwandelbar: entscheidend ist alleine der Zeitpunkt der Errichtung der Vollmacht. Vor diesem Hintergrund kann es durchaus zu einer vom Vorsorgevollmachtsstatut abweichenden internationalen Zuständigkeit eines Gerichts (Art. 5 ErwSÜ) kommen. In diesem Fall hat das Gericht dann die Rechtsordnung des Staats anzuwenden, der für die Errichtung der Vorsorgevollmacht wegen des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Errichtenden maßgeblich war. Kennt die anzuwendende Rechtsordnung keine Vorsorgevollmacht, so ist sie unwirksam und geht ins Leere.
3.2 Rechtswahl
Das ErwSÜ eröffnet dem Errichtenden die Möglichkeit, ausdrücklich und schriftlich eine dem gewöhnlichen Aufenthaltsort vorrangige Rechtswahl zu treffen. Der Katalog derjenigen Rechtsordnungen, die gewählt werden können, findet sich in Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ.
Danach ist eine Rechtswahl möglich zugunsten:
- des Staats, dem der Errichtende angehört;
- des Staats eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Errichtenden;
- des Staats, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, allerdings nur bezogen auf dieses Vermögen.
Der Katalog ist abschließend. Möglich bleibt allerdings eine spätere Änderung der Rechtswahl, ebenso wie eine Kombination der Wahloptionen.
3.3 Sonderregelungen
3.3.1 Art und Weise der Ausübung
Das ErwSÜ unterstellt die Wirksamkeit und den Umfang einer Vorsorgevollmacht dem Recht des Staats, in dem der Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Demgegenüber bestimmt das Recht des Staats, in dem die Vollmacht ausgeübt wird, die anwendbaren Normen, Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ. Die Abgrenzung dürfte mitunter schwerfallen. Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ ist hier im Zweifel eng auszulegen.
Unter die Regelung fallen z. B.:
- Rechnungslegungspflichten gegenüber einer Behörde,
- die Einhaltung von Formerfordernissen oder
- Hinterlegungsvorschriften.
Ob unter Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ auch die Einhaltung von Genehmigungsverfahren im Ausübungsstaat fällt, ist umstritten. Aus Gründen der Rechts- und Planungssicherheit wird dies von der herrschenden Meinung mit dem Argument des Erfordernisses einer engen Auslegung der Norm abgelehnt.
3.3.2 Schutzmaßnahmen, Art. 16 ErwSÜ
Bei objektiver Gefährdung der Person oder des Vermögens des Betroffenen kann die Vorsorgevollmacht von den zuständigen Behörden aufgehoben oder geändert werden. Voraussetzung ist dabei aber, dass das nach Art. 15 ErwSÜ berufene Vollmachtsstatut so weit wie möglich berücksichtigt wird. In Deutschland ist bei internationaler Zuständigkeit deutscher Betreuungsgerichte ein Eingriff nur über die Anordnung einer rechtlichen Betreuung möglich.
3.3.3 Gutglaubensschutz, Art. 17 ErwSÜ
Regelungen zum Schutz gutgläubiger Dritter beinhaltet Art. 17 ErwSÜ. Danach sollen die Vorschriften des Abschlussortes der Vollmacht greifen, wenn dies aus Gründen der Schutzbedürftigkeit Dritter geboten ist. Art. 17 ErwSÜ ist von Amts wegen zu beachten und geht insofern den Art. 13 – 16 ErwSÜ vor.
Relevant ist Art. 17 ErwSÜ z. B. bei:
- vermögensrechtlichen Rechtsgeschäften;
- auch fernmündlich geschlossenen Rechtgeschäften;
- medizinischen Maßnahmen;
- einseitigen Rechtshandlungen.
Der gute Glaube des Dritten wird vermutet. Die Beweislast für sein Fehlen obliegt dem im Sinne des ErwSÜ erwachsenen Schutzbedürftigen.
3.3.4 Zwingende Maßnahmen des Anwendungsstaats, Art. 20 ErwSÜ
Bestehen im Anwendungsstaat zwingende nationale Vorschriften zum Schutz des Betroffenen, so sind diese nach Art. 20 ErwSÜ zu beachten. Betroffen sind insbesondere Genehmigungspflichten im Rahmen medizinischer Maßnahmen.
3.3.5 Ordre public, Art. 21 ErwSÜ
Das nach dem ErwSÜ anwendbare Recht findet seine Grenzen bei einem offensichtlichen Widerspruch zur öffentlichen Ordnung des Forumsstaats. Praktische Relevanz besitzt Art. 21 ErwSÜ bei Rechtswahlklauseln.