Leitsatz
Der Vater dreier minderjähriger Kinder wandte sich gegen den Entzug des Sorgerechts und die Bestellung eines Vormunds für seine drei Kinder. Vorausgegangen war, dass er seine Ehefrau und die Mutter der drei Kinder am 5.5.2004 getötet hatte, seither inhaftiert und in der Folgezeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Sachverhalt
Der Vater hatte die mit ihm verheiratete Kindesmutter am 5.5.2004 getötet und wurde am 27.5.2004 deshalb inhaftiert. In der Folgezeit wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die drei gemeinsamen und in den Jahren 1993, 1996 und 2004 geborenen Kinder lebten mit Einverständnis des Vaters seit dem Tod der Mutter bei einer Tante, der Schwester des Vaters, in der Türkei. Die Kinder hatten sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Im September 2005 erteilte der Vater seiner Schwester eine notariell beurkundete widerrufliche Generalvollmacht, die auch die Sorge für die Kinder umfasste.
Ab Oktober 2005 hielten sich zwei der drei Kinder zusammen mit ihrer Tante in Deutschland auf. Im November 2005 leitete das AG von Amts wegen ein Verfahren zur Überprüfung der Frage ein, ob dem Vater das Sorgerecht zu entziehen sei. Daraufhin kehrte die Tante im Dezember mit den Kindern wieder in die Türkei zurück. Mit Beschluss vom 4.4.2006 hat das AG gemäß § 1666 BGB dem Vater das Sorgerecht entzogen und dieses auf das Jugendamt als Vormund übertragen.
Hiergegen wandte sich der Vater mit seiner Beschwerde. Das Rechtsmittel war erfolgreich.
Entscheidung
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass die deutschen Gerichte für die Entscheidung über das Sorgerecht nicht international zuständig seien. Eine Zuständigkeit nach Art. 8 der VO (EG) Nr. 2201/03 (Brüssel IIa) liege nicht vor, das alle drei Kinder bei Einleitung des Verfahrens ihren gewöhnlichen Aufenthalt weder in Deutschland noch in einem anderen Mitgliedsstaat der EU gehabt hätten. Der gewöhnliche Aufenthalt aller Kinder war nach Auffassung des OLG in der Türkei. Die kurze Unterbrechung durch den Deutschlandaufenthalt zweier Kinder im Oktober 2005 habe nicht zu einer Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts geführt. Auch eine Zuständigkeit nach Art. 10 oder 11 der Verordnung scheide aus, da die Kinder nicht widerrechtlich, sondern mit dem Einverständnis des Sorgeberechtigten in die Türkei verbracht worden seien.
Die internationale Zuständigkeit sei daher nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 (MSA) zu bestimmen, da sowohl die Türkei als auch Deutschland Vertragsstaaten dieses Abkommens seien.
Primär zuständig für Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens der Kinder seien damit gemäß Art. 1 MSA die Gerichte und Behörden der Türkei als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts aller drei Kinder. Eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte und Behörden könne sich nur aus Art. 4 MSA ergeben. Dabei sei fraglich, ob Deutschland als Heimatstaat i.S.d. Abkommens anzusehen sei, da die Kinder nach dem bislang von keiner Seite angegriffenen Vortrag des Vaters neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit hätten, die effektive Staatsangehörigkeit also zurzeit die türkische sei.
Letztendlich könne die Frage offen bleiben, da jedenfalls nicht festgestellt werden könne, dass das Wohl der Kinder das Tätigwerden der deutschen Gerichte erfordere.
Der Entzug des Sorgerechts des Vaters erscheine gegenwärtig nicht notwendig. Zwar liege es nahe, dass er sich durch die Tötung der Mutter der Kinder als ungeeignet zur Erziehung erwiesen habe. Wegen seiner Inhaftierung sei er ohnehin auf unabsehbare Zeit daran gehindert, das tatsächliche Leben der Kinder zu beeinflussen. Er habe die Betreuung der Kinder durch seine Schwester veranlasst und ihr hierfür eine umfassende Vollmacht erteilt. Alle Kinder würden seit nunmehr über 2 Jahren von ihrer Tante betreut, eine der Töchter sogar seit 3 Jahren. Die jüngste Tochter werde seit ihrem 4. Lebensmonats von ihr großgezogen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kinder in der Türkei von der umfassend bevollmächtigten Tante nicht angemessen betreut würden. Das Wohl der Kinder erfordere daher das Tätigwerden der deutschen Gerichte nicht.
Hinweis
Ein ähnlich gelagerter Fall lag dem Beschluss des BVerfG in dessen Beschluss vom 12.12.2007 (BVerG v. 12.12.2007 - 1 BvR 2697/07 - in FamRZ 2008, 381) zugrunde. Der Kindesvater war in Verdacht geraten, Kindesmutter und deren neuen Freund getötet zu haben. Der Verdacht wurde weder bestätigt noch ausgeräumt. Der Antrag des Vaters, ihm nach § 1680 Abs. 2 BGB das Sorgerecht für den Sohn zu übertragen, wurde in allen Instanzen abgelehnt. Das BVerfG hat diese Entscheidung gebilligt.
Link zur Entscheidung
OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 25.10.2006, 2 UF 50/06