Dr. Anton Wiedemann, Giulia Novelli
1. Rechtsnatur und Pflichtteilsberechtigte
Rz. 132
Pflichtteilsberechtigte Personen (legittimari) sind nach Art. 536 c.c. der Ehegatte, die Kinder und, falls solche nicht vorhanden, auch die Vorfahren. Darunter fallen nach der Kindschaftsrechtsreform nun auch die Vorfahren von außerhalb der Ehe geborenen Kindern (Art. 536, 538 n.F. und Art. 544 c.c.).
Rz. 133
Der Pflichtteil bildet die sog. quota di riserva. Es handelt sich nicht um einen bloßen Geldanspruch gegen den Erben, sondern um ein echtes, dinglich wirkendes Noterbrecht. Dies tritt aber nicht automatisch mit dem Tod des Erblassers ein, sondern nach h.M. erst mit erfolgreicher Herabsetzungsklage. Die Verfügungsbefugnis des Erblassers beschränkt sich auf die sog. quota disponibile. Ein dieses Noterbrecht nicht beachtendes Testament ist deshalb nicht unwirksam.
2. Pflichtteilsquote
Rz. 134
Die Pflichtteilsquote des Ehegatten beträgt ½, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind (Art. 540 Abs. 1 c.c.). Hinterlässt der Erblasser neben dem Ehegatten lediglich ein Kind, beträgt der Pflichtteil für den Ehegatten und das Kind je ⅓ (Art. 542 Abs. 1 c.c.); sind es mehrere Kinder, beträgt der Pflichtteil für den Ehegatten ein Viertel und für die Kinder – zu unter sich gleichen Teilen – insgesamt die Hälfte (Art. 542 Abs. 2 c.c.). Bei gerichtlicher Trennung von Tisch und Bett verliert der Ehegatte seinen Pflichtteil nur, wenn ihm durch rechtskräftiges Urteil die Trennung angelastet wurde. Er hat dann nur Anspruch auf einen assegno vitalizio alimentare, wenn er im Zeitpunkt des Erbfalls alimenti bezog (Art. 548 Abs. 2 c.c.).
Rz. 135
Hinterlässt der nicht verheiratete Erblasser lediglich ein Kind, beträgt dessen Pflichtteil bzw. der von dessen Repräsentanten die Hälfte des Nachlasses (Art. 537 Abs. 1 c.c.), bei mehreren Kindern zusammen ⅔ (Art. 537 Abs. 2 c.c.).
Rz. 136
In der Ehe und außer der Ehe geborene Kinder und Adoptivkinder sind gleichgestellt (Art. 536 Abs. 2 c.c.). Eine Ausnahme gilt nach wie vor gem. Art. 74 G. 219/2012 für die Volljährigenadoption (Art. 300 ss. c.c.) und die Adoption in Ausnahmefällen (Art. 55 G. Nr. 184/1983).
Rz. 137
Entscheidend für die Ermittlung der jeweiligen Quote ist nur, ob die Berechtigten zum Zeitpunkt der Nachlasseröffnung vorhanden waren, gleichgültig ob diese später ausschlagen oder nicht.
Rz. 138
Sind keine Abkömmlinge vorhanden, haben die ehelichen und nichtehelichen Vorfahren (Eltern, (Ur-)Großeltern) ein Pflichtteilsrecht, das neben dem Ehegatten insgesamt ¼ (Art. 544 Abs. 1 c.c.) und ohne Ehegatten ⅓ beträgt (Art. 538 c.c.). Geschwister und Onkel/Tanten sind nicht pflichtteilsberechtigt.
3. Weitere Pflichtteilsrechte oder Noterbrechte
a) Sondererbfolgen
Rz. 139
Weitere Pflichtteilsrechte oder Noterbrechte kennt das italienische System zunächst in Form von Sondererbfolgen, die den Grundsatz der Nachlasseinheit durchbrechen. Darunter zählen u.a. die Wohnrechte und Nutzungsrechte mit dinglicher Wirkung zugunsten des Ehegatten.
Rz. 140
Weitere Sondererbfolgen – wie z.B.
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die Nachfolge naher Angehöriger in den Mietvertrag über die Familienwohnung (Art. 6 G. Nr. 392/1978: Ehegatte, Erben, Verwandte und Verschwägerte, falls mit dem Verstorbenen zusammenlebend; Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft), |
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die Pachtverträge mit einem Coltivatore diretto (G. Nr. 203/1982), |
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Entschädigungen (z.B. für versäumte Kündigungsfrist (Art. 2118 c.c.) und |
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Abfindungen (Abfindungen zum Vertragsende aufgrund der geleisteten Dienstjahre (Art. 2122 c.c.; Ehegatte, Kinder und unterhaltsbegünstigte – a carico – Verwandte bis zum dritten Grad und Verschwägerte bis zum zweiten Grad) – |
unterliegen besonderen gesetzlichen Kriterien zur Ermittlung des Erbberechtigten (also anderen als die der allgemeinen Erbfolge) und können daher nur bedingt als Rechte zugunsten von Pflichtteilsberechtigten oder als Begünstigungen einiger Erben angesehen werden.
Rz. 141
Dem überlebenden Ehegatten (auch wenn er Miterbe ist) stehen unabhängig vom Güterrecht und seiner Bedürftigkeit das Wohnrecht an der Ehewohnung und die Nutzung des Hausrats zu. Die Rechte richten sich sowohl gegen die Erben als auch gegen die zu Lebzeiten Beschenkten. Da dies in Art. 540 c.c. geregelt ist (riserva del coniu...