I. Insolvenzverfahren
Rz. 191
Im Rahmen der Umsetzung der Verordnung (EU) 2015/848 vom 20.5.2015 und der Empfehlung der EU-Kommission vom 12.3.2014 wurden das delegierende Gesetz 19.10.2017 Nr. 155 und das DLgs 12.1.2019 Nr. 14 mit einem neuen Gesetzbuch der Krise und der Insolvenz (Codice della crisi d’impresa e dell’insolvenza) verabschiedet, welches nunmehr am 1.9.2021 in Kraft treten und das Insolvenzgesetz (LF, Legge Fallimentare) in der aktuellen Fassung ersetzen soll. Das neue Gesetz hat das Ziel, die Insolvenz mittels Frühwarnverfahrens und Anzeigepflichten abzuwenden und Verfahren zu bevorzugen, welche zur Fortführung des Unternehmens führen. Inzwischen wurde auf europäischer Ebene die Richtlinie (EU) 1023/2019 vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen (early warning tools) des Unternehmens vor einer Insolvenz (insolvency likelihood) verabschiedet, welche bis zum 17.7.2021 in den einzelnen Ländern umzusetzen ist; Italien hat bereits eine Fristverlängerung beantragt, falls das fast gleichzeitige Inkrafttreten des neuen Gesetzesbuches und die Koordinierung zwischen neuer und alter Regelung nicht rechtzeitig verfasst werden kann. Die Pandemie hat ohne Zweifel zu einer außerordentlichen wirtschaftlichen Lage aller Unternehmen geführt, so dass weitere Fristverlängerungen nicht auszuschließen sind.
Gemäß dem noch geltenden Insolvenzgesetz (LF) in der aktuellen Fassung führt die Durchführung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft zwingend zu deren Auflösung. Insolvent ist eine Gesellschaft, wenn sie nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten ordnungsgemäß zu bedienen (Art. 5 LF). Der Minderkaufmann wird vom Gesetz definiert und ist von der Insolvenz ausgeschlossen (Art. 1 LF).
Rz. 192
Die Insolvenz wird durch Urteil auf Antrag der Gesellschaft, eines oder mehrerer Gläubiger oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft festgestellt. Zuständig ist das Gericht am Hauptsitz der Gesellschaft. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Insolvenzerklärung zwar ein Auflösungsgrund, sie bedeutet allerdings noch nicht die Beendigung der Gesellschaft, so dass die Organe weiterhin mit ihren bisherigen Rechten fortbestehen, sofern dies mit den dem Insolvenzverwalter zustehenden Rechten vereinbar ist. Die Gesellschaft in der Insolvenz verliert allerdings jegliche Verfügungsmacht über ihr Vermögen, die auf den Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des beauftragten Richters und des Gläubigerausschusses übertragen wird (Art. 31 LF).
Rz. 193
Das generell vorläufig vollstreckbare Insolvenzurteil hat folgenden Inhalt (Art. 16 LF):
▪ |
Ernennung des beauftragten Richters, der das Insolvenzverfahren führt; |
▪ |
Ernennung des Insolvenzverwalters, der das Vermögen der Gesellschaft verwaltet, das Aktivvermögen liquidiert und die Gläubiger, soweit möglich, befriedigt; |
▪ |
Anweisung an die Gesellschaft, den Jahresabschluss und die gesetzlich und steuerrechtlich zwingend vorgeschriebenen Unterlagen der letzten drei Jahre sowie die Gläubigerliste innerhalb von drei Tagen bei Gericht einzureichen, falls dies noch nicht erfolgt ist, wie beim Antrag des Schuldners (Art. 14 LF); |
▪ |
Frist zur Anmeldung der Gläubigerforderungen zur Insolvenztabelle bei Gericht und Geltendmachung von Aussonderungsrechten; |
▪ |
Bestimmung des Prüfungstermins. |
Rz. 194
Das Insolvenzurteil wird mit der Veröffentlichung gem. Art. 133 c.p.c. (it. ZPO), d.h. mit Hinterlegung bei der Geschäftsstelle, wirksam und gegenüber Dritten erst mit Eintragung ins Handelsregister. Gegen das Urteil kann der Unternehmer und jeder Interessierte Beschwerde (reclamo) innerhalb von 30 Tagen beim Berufungsgericht einlegen, welche die Wirksamkeit des Urteils nicht aufhebt, während die eventuell bereits anhängige Versilberung des Aktivvermögens vorläufig ausgesetzt werden kann. Mit Erlass des Urteils sind die Geschäftsführer oder Liquidatoren der Gesellschaft von Geschäftsführung und Verfügung über das Vermögen der Gesellschaft enthoben. Sie sind jedoch nach wie vor Vertreter der Gesellschaft und z.B. in allen Fällen anzuhören, in denen das Gesetz die Anhörung der Gesellschaft vorschreibt.
Rz. 195
Das Insolvenzverfahren wird in drei Phasen eingeteilt:
▪ |
Feststellung der Forderungen (accertamento del passivo, Art. 92 f. LF), |
▪ |
Versilberung des Aktivvermögens (liquidazione dell’attivo, Art. 104 f. LF) und |
▪ |
Verteilung der Masse unter den Gläubigern (ripartizione dell’attivo, Art. 110 f. LF). |
Rz. 196
Diese Tätigkeiten erfolgen durch die Insolvenzverwaltung, die sich aus dem zuständigen Gericht, dem beauftragten Richter, dem Insolvenzverwalter und dem Gläubigerausschuss mit beratender Funktion zusammensetzt. Der Gläubigerausschuss besteht aus drei bis fünf Mitgliedern, die durch den beauftragten Richter innerhalb von 30 Tagen ab dem Insolvenzurteil ernannt werden.
Rz. 197
Der beauftragte Richter kann auf Antrag des Verwalters die Gesellschafter durch Beschluss auffordern, ausstehende Zahlungen auf ihre Einlagen, auch wenn diese noch nicht fällig sind, unverzüglich zu leiste...