Dr. Anton Wiedemann, Giulia Novelli
Rz. 179
Der in Art. 768 bis ff. c.c. (mit Gesetz Nr. 55 vom 14.2.2006 eingeführt) geregelte patto di famiglia als Vertrag unter Lebenden erleichtert nunmehr die lebzeitige Unternehmensnachfolge, die wegen des strengen italienischen Pflichtteilsrechts (= Ausgleichungs- und Herabsetzungspflicht des Unternehmensnachfolgers im Fall des Todes des Erblassers) und des Verbots des Erb- und Pflichtteilsverzichts nach Art. 458, 557 Abs. 2 c.c. bislang nur eingeschränkt möglich war.
Rz. 180
Durch den nach Art. 768 ter c.c. in öffentlicher Form abzuschließenden (Notar und gleichgestellte Urkundsperson, Art. 2699 c.c.) patto di famiglia kann ein Unternehmer seinen Betrieb (azienda, Art. 2555 c.c.) oder Gesellschaftsanteile an Gesellschaften mit einer unternehmerischen Geschäftstätigkeit i.S.d. Art. 2082 c.c. unabhängig von der Gesellschaftsform, soweit der Inhaber Mitbestimmungsbefugnisse in der Gesellschaft hat, zu Lebzeiten – ggf. unter Vorbehalt von Austragsleistungen – an Abkömmlinge übertragen.
Rz. 181
Vertragsteil sind neben dem Ehegatten alle weiteren Personen, die ein Anrecht auf den Pflichtteil hätten, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Art. 768 quater Abs. 1 c.c.) der Erbfall eingetreten wäre. Nach h.L. ist die Beteiligung aller hypothetischen Pflichtteilsberechtigten entgegen dem Wortlaut nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Bei Vorliegen eines patto di famiglia ist der Nachfolger gegenüber den beteiligten Pflichtteilsberechtigten von der Ausgleichungspflicht und von dem Herabsetzungsanspruch befreit (Art. 768 quater Abs. 4 c.c.).
Rz. 182
Den nicht bedachten weichenden Abkömmlingen steht eine im Vertrag selbst oder nachträglich in einem späteren Vertrag (contratto successivo) festzusetzende, vom Nachfolger oder vom Unternehmer zu zahlende Abfindung (in Geld oder durch Übertragung sonstiger Vermögenswerte) zu, deren Höhe sich nach Art. 537 c.c., also nach der Höhe des Pflichtteils und dem Unternehmenswert zum Zeitpunkt der Vereinbarung, errechnet. Ein ganzer oder teilweiser Verzicht auf die Abfindung ist nach Art. 768 quater Abs. 2 c.c. zulässig. Die Rechtsfolgen der Nichterfüllung der Zahlungspflicht sind in Art. 768 sexies c.c. geregelt.
Rz. 183
Den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses pflichtteilsberechtigten Personen, die am Vertrag nicht beteiligt sind, stehen sämtliche Pflichtteilsrechte (Herabsetzungsklage und Kollation) zu, also nicht nur der Anspruch nach Art. 768 sexies Abs. 1 c.c. Die nach Abschluss des patto di famiglia neu hinzugekommenen Pflichtteilsberechtigten (z.B. nachgeborene Kinder oder ein neuer Ehegatte) können nach dem Tod des Verfügenden den Zahlungsanspruch nach Art. 768 sexies Abs. 1, Art. 768 quater Abs. 2 i.V.m. Art. 537 ff. c.c. als reinen Geldanspruch gegen den Nachfolger erheben. Strittig ist, ob ein zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits lebender Abkömmling zweiter Ordnung (Enkelkind) einen Abfindungsanspruch hat, wenn der Abkömmling erster Ordnung auf seinen Abfindungsanspruch verzichtet, die Erbschaft ausschlägt oder vor dem Tod des Inhabers verstirbt. Was umgekehrt der Verlust der Eigenschaft als Pflichtteilsberechtigter zur Folge hat, ist umstritten. Nach h.L. ist ein am Vertrag beteiligter Ehegatte nach der Scheidung (nicht dagegen der mit Schuldzuweisung getrenntlebende Ehegatte) verpflichtet, die Abfindung zurückzuzahlen, wenn der Unternehmer nochmals heiratet und der neue Ehegatte seinen Anspruch gegenüber der Geschiedenen geltend macht.
Rz. 184
Das übertragene Vermögen haftet nicht für Erblasserschulden. Diese können nur im Zuge einer Gläubigeranfechtung nach Art. 2901 ff. c.c. geltend gemacht werden.
Rz. 185
Der patto di famiglia kann nach den Regelungen der Art. 1427 ff. c.c. binnen Jahresfrist (ab Vertragsschluss oder gem. Art. 1442 c.c.) angefochten werden (Art. 768 quinquies c.c.).
Rz. 186
Des Weiteren kann er einvernehmlich oder aufgrund eines vertraglich vorgesehenen Rücktrittsrechts aufgehoben oder abgeändert werden (Art. 768 septies Nr. 1 und Nr. 2 c.c.). Der Rücktritt bedarf der notariellen Beurkundung.
Rz. 187
Der patto di famiglia ist seiner Wirkungen nach wohl erbrechtlich zu qualifizieren.
Rz. 188
Ein in Deutschland lebender Unternehmer mit italienischer Staatsangehörigkeit kann unter der Voraussetzung der Rechtswahl zugunsten italienischen Rechts einen patto di famiglia – gem. Art. 11 EGBGB in notarieller Form – abschließen. Dabei können auch die Ansprüche der in Italien ansässigen Pflichtteilsberechtigten mit deren Zustimmung ausgeschlossen werden.
Rz. 189
Ist ein patto di famiglia zunächst rechtswirksam abgeschlossen, kennt aber das auf die Erbfolge anwendbare Recht dieses Rechtsinstitut bzw. einen Erbvertrag nicht, ist wohl von der Unwirksamkeit auszugehen.
Rz. 190
Nach Art. 768 octies c.c. unterliegen die Streitangelegenheiten bezüglich des patto di famiglia primär der Zuständigkeit der in Art. 38, d. lg. 17 Januar 2003, n. 5 vorgese...