Dr. Anton Wiedemann, Dr. Tereza Pertot
Rz. 166
Die Ehe kann nach Art. 1 l. div. durch Gerichtsurteil geschieden werden. Die maßgebenden verfahrensrechtlichen Normen finden sich in Art. 4 l. div. Die Vorschrift sieht unterschiedliche Verfahren und Scheidungsformen vor, je nachdem, ob der Antrag von einem oder von beiden Ehegatten gemeinsam gestellt wird. Stellt nur ein Ehegatte den Antrag, wird ein ordentliches, aus zwei Phasen bestehendes Verfahren durchgeführt, während im Fall eines gemeinsamen Antrags beider Ehegatten in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt wird. Der Verfahrensgegenstand ist in beiden Fällen jedoch gleich. Das gemeinsame Einreichen des Scheidungsantrags führt zu keiner materiellrechtlichen Verringerung der Scheidungsvoraussetzungen.
Rz. 167
Zuständig für den Antrag ist das ordentliche Gericht des Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsortes des Beklagten. Wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Ausland hat, nicht erreichbar oder nicht auffindbar ist, ist das Gericht des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Antragstellers zuständig. Hat auch der Kläger seinen Wohnsitz und Aufenthaltsort im Ausland, ist jedes italienische Gericht zuständig (Art. 4 l. div.). Bei einvernehmlicher Scheidung ist das ordentliche Gericht des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes eines der Ehegatten zuständig.
Rz. 168
Wie bei der Trennung existiert auch bei der Scheidung Anwaltszwang. In der italienischen Rechtsordnung ist das Einverständnis beider Ehegatten über die Scheidungsfolgen keine materiellrechtliche Voraussetzung der Scheidung. Auswirkungen hat die Tatsache, ob beide Ehegatten gemeinsam oder nur ein Ehegatte den Scheidungsantrag stellt, freilich auf das einzuhaltende Verfahren. Die beiden Formen unterscheiden sich nach dem zuständigen Gericht und nach den Verfahrensregeln.
a) Verfahren bei einseitigem Antrag
Rz. 169
Art. 4 Abs. 2 l. div. sieht vor, dass das Scheidungsverfahren mit einem ricorso einzuleiten ist. Mindestinhalt des Antrags ist die Angabe des zuständigen Richters, der Parteien, des Klagegegenstands und der Klagebegründung einschließlich der Angabe der Beweismittel. Das Verfahren bei einseitigem Antrag läuft als streitiges Verfahren ab und besteht aus zwei Phasen: Die erste Phase heißt fase presidenziale (o preliminare), weil sie vor dem Gerichtspräsidenten stattfindet. In ihr ist ein Versöhnungsversuch vorzunehmen, welcher aber immer mehr seinen obligatorischen Charakter verliert. Die zweite Phase heißt fase di trattazione und findet vor dem Ermittlungsrichter (giudice istruttore) statt.
Rz. 170
Mit dem ersten Verfahrensschritt sollte nach der Intention des Gesetzgebers die Bedeutung des Versöhnungsversuchs betont werden. In der Praxis freilich werden in diesem Verfahrensabschnitt die notwendigen vorläufigen Maßnahmen zugunsten des Ehegatten und/oder etwa vorhandener gemeinsamer Kinder getroffen.
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Im Fall einer erfolgreichen Versöhnung wird diese protokolliert; Gleiches gilt, wenn der Antragsteller die Klage zurücknimmt (Art. 4 Abs. 7 l. div.). |
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Wird dagegen eine Einigung der Ehegatten über die Scheidungsfolgen erreicht, hat der Gerichtspräsident das Verfahren in eine nichtöffentliche Sitzung umzuwandeln und an die Kammer zur Entscheidung weiterzuleiten. |
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Wenn der Versöhnungsversuch scheitert oder unmöglich ist, weil der andere nicht erschienen ist, muss der Gerichtspräsident die notwendigen vorläufigen Maßnahmen zum Schutz der beiden Ehegatten und/oder der etwa vorhandenen gemeinsamen Kinder treffen. |
Rz. 171
In diesem ersten Verfahrensabschnitt findet keine Beweisaufnahme statt, wenngleich der Gerichtspräsident befugt ist, allgemeine Auskünfte einzuholen. Die Ehegatten sind verpflichtet, ihre Steuererklärungen und andere Unterlagen über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorzulegen (Art. 5 Abs. 9 l. div.).
Rz. 172
Die vorläufigen Maßnahmen können sich auf Folgendes beziehen: Zuweisung der Ehewohnung und des Hausrats, Unterhalt für Ehegatten und Kinder, Sorge- und Umgangsrecht; es können auch die schon für die Trennung getroffenen Maßnahmen abgeändert werden. Nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 8 l. div. hat der Gerichtspräsident diese Maßnahmen von Amts wegen zu treffen. Im Wege einer einschränkenden Auslegung gilt die Entscheidungspflicht jedoch nur für die minderjährigen Kinder betreffende Maßnahmen. Wenn z.B. ein Ehegatte keinen Unterhalt verlangt, ist der Gerichtspräsident nach dieser Auslegung nicht berechtigt, über diesen zu entscheiden. Diese Lösung setzt aber voraus, dass insbesondere die Bestimmungen zum Unterhalt für dispositiv gehalten werden.
Rz. 173
Die vom Gerichtspräsident getroffenen Anordnungen können nach Art. 4 Abs. 8 l. div. vom Ermittlungsrichter (giudice istruttore) in der zweiten Phase geändert oder widerrufen werden. Sie blei...