Dr. Anton Wiedemann, Dr. Tereza Pertot
a) Allgemeines
Rz. 181
Das Gesetz vom 10.11.2014, Nr. 162 bietet Ehegatten zwei neue außergerichtliche Trennungs- und Scheidungsverfahren: die anwaltsunterstützte Trennungs-/ oder Scheidungsvereinbarung und die Erklärung der Trennung oder Scheidung gegenüber dem Standesbeamten. Sie sollen die Trennungs- und Scheidungsverfahren in Italien vereinfachen und beschleunigen. Nun können die Ehegatten durch vertragliche Vereinbarungen die Auflösung der Ehe herbeiführen sowie Abänderungen der Trennungs- oder Scheidungsfolgen erreichen. Die Verfahren sind Ehegatten nur bei Einvernehmen und unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich. Wird die Einigung nicht erreicht, bleibt nur der Weg des gerichtlichen Verfahrens.
b) Anwaltsunterstützte Vereinbarung
Rz. 182
Das erste Verfahren bildet die von Rechtsanwälten assistierte einvernehmliche außergerichtliche Trennung/Scheidung (Art. 6 des Gesetzes vom 10.11.2014, Nr. 162). Jede Partei muss einen eigenen Rechtanwalt zuziehen. Die Anwälte haben das Verfahren zu betreuen und die Vereinbarung schriftlich festzuhalten. Sie sind dazu verpflichtet, die Ehegatten über eine mögliche Familienschlichtung zu informieren. Es soll eine gütliche Einigung der Ehepartner herbeigeführt werden (Art. 6. Abs. 1 des Gesetzes Nr. 162/2014). Zu Beginn des Verfahrens ist eine Frist von mindestens einem Monat bis zu drei Monaten festzulegen, in der die Vereinbarung zustande kommen soll; die Frist kann einmalig um drei Monate verlängert werden. Diese Frist wird man, auch wenn das Dekret zu den Rechtsfolgen der Fristüberschreitung schweigt, nur als Sollvorschrift ansehen können, die den Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung zum Ausdruck bringt; eine einvernehmliche Regelung wird nicht deshalb scheitern können, weil die Frist nicht gewahrt ist. Bei Nichteinhaltung der oben genannten Pflichten sind für die Anwälte Geldstrafen vorgesehen (2.000–10.000 EUR).
Rz. 183
Aus der Vereinbarung muss ersichtlich sein, dass ein Versöhnungsversuch stattgefunden hat und die Parteien über die Möglichkeit einer Mediation aufgeklärt wurden. Sie muss auch den Hinweis enthalten, dass etwaige Kinder angemessene Zeiten bei jedem Elternteil verbringen sollten (Art. 6 Abs. 3 S. 2 des Gesetzes Nr. 162/2014).
Die Vereinbarung muss den neuen Status der Ehegatten (geschieden oder getrennt) und kann deren finanzielle Angelegenheiten sowie die Ausübung der elterlichen Verantwortung für die Kinder und deren Unterhalt regeln. Aus dem Gesetzeswortlaut wird nicht deutlich, ob alle Scheidungsfolgen beinhaltet sein müssen oder ob sich die Vereinbarung auch auf die Scheidung an sich bzw. auf nur einzelne Scheidungsfolgen beschränken kann. Letzteres dürfte zutreffen.
Durch die Scheidungsvereinbarung kann die für die Scheidung gesetzlich vorgesehene Trennungsfrist nicht verkürzt werden.
Rz. 184
Die Vereinbarung kann privatschriftlich getroffen werden. Die Anwälte haben zu bestätigen, dass die Ehepartner die Unterschrift vor ihnen selbst geleistet haben. Eine notarielle Beurkundung ist nicht vorgesehen, soweit im Rahmen der Vermögenauseinandersetzung kein Grundbesitz betroffen ist (Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 162/2014).
Den Anwälten wird auch die Pflicht auferlegt zu bestätigen, dass die getroffenen Vereinbarungen zwingendem Recht nicht widersprechen sowie der ordre public gewahrt ist (Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 162/2014). Die Bestätigung der Anwälte hat somit eine zertifizierungs- und haftungsbegründende Funktion. Aus der Norm ist zu entnehmen, dass die Vereinbarungen die familienrechtlichen Grenzen der Privatautonomie nicht überschreiten dürfen. So kann eine Unterhaltsvereinbarung bei Trennung in Form einer einmaligen Leistung (una tantum) den Anspruch auf Mindestunterhalt (alimenti) bei späterer Bedürftigkeit nicht ausschließen; sie ist aber wohl als vorzeitiger einvernehmlicher Verzicht auf Scheidungsunterhalt zulässig (Art. 156 c.c. und Art. 5 Abs. 6 l. div. i.V.m. Art. 5 Abs. 8 l. div.).
Rz. 185
Haben die Ehepartner keine minderjährigen Kinder und keine Kinder, die zwar volljährig, aber wirtschaftlich nicht unabhängig sind oder eine schwere Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes vom 5.2.1992, Nr. 104 haben, ist die Vereinbarung dem zuständigen Staatsanwalt vorzulegen (Art. 6 des Gesetzes Nr. 162/2014). Ein Antrag der Parteien ist hierzu nicht erforderlich (Ministerial-Rundschreiben vom 1.10.2014, Nr. 16). Der Staatsanwalt hat, wenn er keine Regelwidrigkeit feststellt (Trennungszeit, Schriftform, Zertifizierung des Datums), eine nulla osta (nihil obstat = Bestätigung) für die erzielten Abreden auszustellen (Art. 6 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes Nr. 162/2014).
Offen ist, wann volljährige Kinder noch als wirtschaftlich abhängig anzusehen sind, und wer dies prüft. Reicht die einfache Feststellung der Ehepartner oder bedarf es näherer Angaben in der Vereinbarung, die der Staatanwalt gegebenenfalls auf ihre Plausibilität prüfen kann oder muss?
Rz. 186
Sind minderjährige Kinder oder Kinder, die zwar volljährig, aber wirtschaftlich nicht unabhängig sind oder eine schwere Behinderung...