I. Zulässigkeit und Wirkungen

 

Rz. 258

Die nichteheliche Lebensgemeinschaft (convivenza) war in Italien nicht einheitlich gesetzlich geregelt. Die analoge Heranziehung ehe- und familienrechtlicher Regelungen fand ihre Grenze sowohl in der Privatautonomie der Parteien, die gerade keine Ehe schließen wollten, als auch im verfassungsrechtlich in Art. 29 Cost. verbürgten Schutz von Ehe und Familie. Unstrittig fiel aber die nichteheliche Lebensgemeinschaft unter die formazioni sociali, die verfassungsrechtlich in Art. 2 Cost. geschützt sind. Anknüpfungspunkt für Schutzrechte der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Person ist das Solidaritätsprinzip.[295]

 

Rz. 259

Mit dem Gesetz Nr. 76/2016 wurde nun auch in Italien die convivenza geregelt (Art. 1 Abs. 36 ff.), wobei in erster Linie bereits von der Rechtsprechung entwickelte Ansprüche gesetzlich geregelt wurden. Unter convivenza versteht das Gesetz eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen zwei Personen, die über eine Wohngemeinschaft hinausgeht (Art. 1 Abs. 36 des Gesetzes Nr. 76/2016).

 

Rz. 260

Voraussetzungen für eine convivenza sind:

a) zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts
b) Volljährigkeit
c) eine auf Dauer angelegte Partnerschaft
d) emotionale Bindung sowie moralische und materielle Fürsorge
e) Fehlen einer bestehenden Ehe, unione civile, Verwandschaft, Schwägerschaft oder Adoption; anders als bei der unione civile fehlt eine Abgrenzung der Verwandtschaft nach deren Grad.
 

Rz. 261

Die Begründung der Partnerschaft folgt de facto bei Vorliegen vorstehender Voraussetzungen. Eine Registrierung ist weder notwendig noch möglich. Lediglich eine Anmeldung beim Einwohnermeldeamt gem. Art. 4 u. 13 Abs. 1, l. b), D.P.R. vom 30.5.1989, Nr. 223, ist denkbar.

Diese Anmeldung gilt lediglich als Indiz für die Existenz einer convivenza (Art. 1 Abs. 37 des Gesetzes Nr. 76/2016). Fehlt sie, kann das Bestehen einer convivenza durch andere Beweismittel nachgewiesen werden.[296]

[295] Siehe dazu Cubeddu, Rechtsregeln für nichteheliches Zusammenleben in Italien, in: Beiträge zum europäischen Familienrecht, 2009, S. 119.
[296] Siehe etwa Cass., 13.4.2018, n. 9178, FI 2018, 6, 1, 2056; GI 2019, 5, 1056.

II. Rechtsfolgen

1. Gesetzlich neu begründete Rechte

 

Rz. 262

Der Gesetzgeber räumt dem Lebenspartner Informations- und Auskunftsrechte in Gesundheitsangelegenheiten ein. Es besteht die Möglichkeit, dem Lebenspartner eine Vorsorgevollmacht zu erteilen.

 

Rz. 263

Endet die Partnerschaft, hat der bedürftige Partner Anspruch auf den Mindestunterhalt (sog. alimenti). Der Unterhalt ist nach der Dauer der Partnerschaft und gemäß den Kriterien von Art. 438 Abs. 2 c.c. zu bemessen. Der Anspruch ist dem Geschwisterunterhalt gegenüber vorrangig zu leisten (Art. 1 Abs. 65 des Gesetzes Nr. 76/2016).

Im Mietrecht kann der Lebenspartner in den Mietvertrag eintreten, auch wenn der Mietvertrag allein vom anderen, nunmehr verstorbenen Lebenspartner abgeschlossen wurde (Art. 1 Abs. 44 des Gesetzes Nr. 76/2016).

 

Rz. 264

Stand eine selbst genutzte Immobilie im Eigentum des verstorbenen Partners, steht dem überlebenden Partner ein befristetes Nutzungsrecht von mindestens zwei (bei gemeinsamen Kindern drei) bis zu fünf Jahren zu (Art. 1 Abs. 42 des Gesetzes Nr. 76/2016).

 

Rz. 265

Einem Lebenspartner steht ein Schadensersatzanspruch zu, wenn ein Dritter durch unerlaubte Handlung den Tod des anderen Lebenspartners verursacht hat (Art. 1 Abs. 43 des Gesetzes Nr. 76/2016) und der überlebende Lebenspartner dadurch seine konkrete Aussicht auf dauerhaften Unterhalt verloren hat.

 

Rz. 266

Nach bisheriger h.M. waren die Regelungen zum Familienunternehmen in Art. 230 bis c.c. nicht analog auf den Lebenspartner anzuwenden.[297] Nun gewährt der neu eingeführte Art. 230 ter c.c.(Gesetz Nr. 76/2016) dem Partner, der bei der impresa familiare des anderen tätig war, eine Beteiligung an den Erträgen des Unternehmens und an den damit erworbenen Gegenständen und am Wertzuwachs des Betriebs, deren Höhe von Quantität und Qualität der geleisteten Arbeit abhängt. Das Gesetz gewährt dem Partner keinen Anspruch auf die Teilnahme an den unternehmerischen Entscheidungen. Trotzdem dürfte Art. 230 bis Abs. 1 c.c. analog angewendet werden.[298] Ausgenommen ist auch der auf der Tätigkeit in der impresa familiare gründende Unterhaltsanspruch.[299] Dem Partner steht ferner kein Vorkaufsrecht zu.

[297] Siehe dazu Cubeddu, Rechtsregeln für nichteheliches Zusammenleben in Italien, in: Beiträge zum europäischen Familienrecht, 2009, S. 126.
[298] Siehe jedoch Cubeddu Wiedemann, "Die gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaft (Lebenspartnerschaft – unione civile) und die nichteheliche Lebensgemeinschaft (Lebensgemeinschaft – convivenza) nach italienischem Recht", S. 3 ff., die eine analoge Anwendung sowohl des Abs. 1 als auch des Abs. 4 des Art. 230 bis c.c. befürwortet. Der Partner könnte sich daher an den Entscheidungen des Unternehmers beteiligen. Zudem dürfte die Übertragung von Ansprüchen eines Partners nur mit dessen Zustimmung und mit der Zustimmung aller anderen Mitwirkenden erfolgen.
[299] Nach de...

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