Dr. Anton Wiedemann, Dr. Tereza Pertot
I. Zulässigkeit und Wirkungen
Rz. 258
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft (convivenza) war in Italien nicht einheitlich gesetzlich geregelt. Die analoge Heranziehung ehe- und familienrechtlicher Regelungen fand ihre Grenze sowohl in der Privatautonomie der Parteien, die gerade keine Ehe schließen wollten, als auch im verfassungsrechtlich in Art. 29 Cost. verbürgten Schutz von Ehe und Familie. Unstrittig fiel aber die nichteheliche Lebensgemeinschaft unter die formazioni sociali, die verfassungsrechtlich in Art. 2 Cost. geschützt sind. Anknüpfungspunkt für Schutzrechte der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Person ist das Solidaritätsprinzip.
Rz. 259
Mit dem Gesetz Nr. 76/2016 wurde nun auch in Italien die convivenza geregelt (Art. 1 Abs. 36 ff.), wobei in erster Linie bereits von der Rechtsprechung entwickelte Ansprüche gesetzlich geregelt wurden. Unter convivenza versteht das Gesetz eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen zwei Personen, die über eine Wohngemeinschaft hinausgeht (Art. 1 Abs. 36 des Gesetzes Nr. 76/2016).
Rz. 260
Voraussetzungen für eine convivenza sind:
a) |
zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts |
b) |
Volljährigkeit |
c) |
eine auf Dauer angelegte Partnerschaft |
d) |
emotionale Bindung sowie moralische und materielle Fürsorge |
e) |
Fehlen einer bestehenden Ehe, unione civile, Verwandschaft, Schwägerschaft oder Adoption; anders als bei der unione civile fehlt eine Abgrenzung der Verwandtschaft nach deren Grad. |
Rz. 261
Die Begründung der Partnerschaft folgt de facto bei Vorliegen vorstehender Voraussetzungen. Eine Registrierung ist weder notwendig noch möglich. Lediglich eine Anmeldung beim Einwohnermeldeamt gem. Art. 4 u. 13 Abs. 1, l. b), D.P.R. vom 30.5.1989, Nr. 223, ist denkbar.
Diese Anmeldung gilt lediglich als Indiz für die Existenz einer convivenza (Art. 1 Abs. 37 des Gesetzes Nr. 76/2016). Fehlt sie, kann das Bestehen einer convivenza durch andere Beweismittel nachgewiesen werden.
II. Rechtsfolgen
1. Gesetzlich neu begründete Rechte
Rz. 262
Der Gesetzgeber räumt dem Lebenspartner Informations- und Auskunftsrechte in Gesundheitsangelegenheiten ein. Es besteht die Möglichkeit, dem Lebenspartner eine Vorsorgevollmacht zu erteilen.
Rz. 263
Endet die Partnerschaft, hat der bedürftige Partner Anspruch auf den Mindestunterhalt (sog. alimenti). Der Unterhalt ist nach der Dauer der Partnerschaft und gemäß den Kriterien von Art. 438 Abs. 2 c.c. zu bemessen. Der Anspruch ist dem Geschwisterunterhalt gegenüber vorrangig zu leisten (Art. 1 Abs. 65 des Gesetzes Nr. 76/2016).
Im Mietrecht kann der Lebenspartner in den Mietvertrag eintreten, auch wenn der Mietvertrag allein vom anderen, nunmehr verstorbenen Lebenspartner abgeschlossen wurde (Art. 1 Abs. 44 des Gesetzes Nr. 76/2016).
Rz. 264
Stand eine selbst genutzte Immobilie im Eigentum des verstorbenen Partners, steht dem überlebenden Partner ein befristetes Nutzungsrecht von mindestens zwei (bei gemeinsamen Kindern drei) bis zu fünf Jahren zu (Art. 1 Abs. 42 des Gesetzes Nr. 76/2016).
Rz. 265
Einem Lebenspartner steht ein Schadensersatzanspruch zu, wenn ein Dritter durch unerlaubte Handlung den Tod des anderen Lebenspartners verursacht hat (Art. 1 Abs. 43 des Gesetzes Nr. 76/2016) und der überlebende Lebenspartner dadurch seine konkrete Aussicht auf dauerhaften Unterhalt verloren hat.
Rz. 266
Nach bisheriger h.M. waren die Regelungen zum Familienunternehmen in Art. 230 bis c.c. nicht analog auf den Lebenspartner anzuwenden. Nun gewährt der neu eingeführte Art. 230 ter c.c.(Gesetz Nr. 76/2016) dem Partner, der bei der impresa familiare des anderen tätig war, eine Beteiligung an den Erträgen des Unternehmens und an den damit erworbenen Gegenständen und am Wertzuwachs des Betriebs, deren Höhe von Quantität und Qualität der geleisteten Arbeit abhängt. Das Gesetz gewährt dem Partner keinen Anspruch auf die Teilnahme an den unternehmerischen Entscheidungen. Trotzdem dürfte Art. 230 bis Abs. 1 c.c. analog angewendet werden. Ausgenommen ist auch der auf der Tätigkeit in der impresa familiare gründende Unterhaltsanspruch. Dem Partner steht ferner kein Vorkaufsrecht zu.