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Eine Legaldefinition des Begriffs "zu Unrecht entrichtete Beiträge" ist im SGB nicht enthalten. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass darunter die Beiträge zu verstehen sind, die ohne Rechtsgrund entrichtet worden sind. Maßgeblich für die Prüfung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beitragsentrichtung (BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 AL 4/13 R). Zu Unrecht sind Beiträge entrichtet, wenn zum Zeitpunkt der Entrichtung weder ein materieller noch ein formeller Rechtsgrund hierfür bestand. Materiell rechtsgrundlos entrichtet sind insbesondere Beiträge, die irrtümlich in der Annahme von Versicherungspflicht geleistet wurden. Beiträge können auch der Höhe nach zu Unrecht entrichtet sein. Fehlt es an einem materiellen Rechtsgrund, so sind die Beiträge dennoch nicht zu Unrecht entrichtet, solange ein bestandskräftiger oder zumindest vollziehbarer Bescheid die Beitragsleistungspflicht regelt (Beitragsbescheid) bzw. das Bestehen von Versicherungspflicht feststellt (BSG, Urteil v. 13.9.2006, B 12 AL 1/05 R). Beiträge sind in diesem Fall erst dann zu erstatten, wenn der formelle Rechtsgrund in Gestalt des Bescheides durch Anfechtung bzw. im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X rückwirkend erfolgreich beseitigt wurde (vgl. BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 AL 4/13 R). Warum Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden, ist für den Erstattungsanspruch unerheblich. Es kommt nicht darauf an, auf wessen Verschulden hin die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind. Selbst wenn der Irrtum der Beitragsentrichtung vom Versicherten oder vom Arbeitgeber verschuldet wurde, sind die Beiträge zu Unrecht entrichtet und können unter den in den Abs. 2 und 3 normierten Voraussetzungen erstattet werden. Sogar die Kenntnis von der Nichtschuld schadet nicht. Einen dem § 814 BGB entsprechenden Einwand sieht § 26 grundsätzlich nicht vor (BSG, Urteil v. 23.5.2017, B 12 KR 9/16 R). Der Begriff "zu Unrecht" hat den früher verwendeten Begriff "irrtümlich" abgelöst, ohne dass eine inhaltliche Änderung beabsichtigt war, sodass zur Begriffsdefinition auch auf die Rechtsprechung zum "irrtümlich entrichteten Beitrag" zurückgegriffen werden kann.
Der Irrtum kann sich auch auf die Höhe der Beitragsleistung erstrecken, z. B. auf zu hohe Beiträge infolge unrichtiger Berechnung der Beiträge oder unrichtiger Zugrundelegung des Arbeitsentgelts.
Das BSG hat mit Urteil v. 18.11.1980 (12 RK 59/79), entschieden, dass auch bei Wandlung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bis dahin als Arbeitsentgelt angesehene Arbeitnehmerbezüge nicht mehr dem Arbeitsentgelt hinzuzurechnen sind, die überzahlten Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich zu erstatten sind. Eine Ausnahme gilt allerdings im Interesse der Rechtssicherheit für den Fall, dass über die gezahlten Beiträge ein bindender Bescheid vorliegt; dann ist die Erstattung ausgeschlossen.
Entfällt eine ursprünglich bestehende Beitragspflicht durch rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht, sind die gezahlten Beiträge nach dem Urteil des BSG v. 26.3.1987 (11a RLw 3/86) zu Unrecht entrichtet. Aufgrund der ex-tunc-Wirkung eines Urteils, das einen Beitragsbescheid aufhebt, entsteht der Erstattungsanspruch nicht erst mit der Aufhebung, sondern rückwirkend bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der Beiträge. Dies gilt, obwohl ein Beitragsbescheid, solange er wirksam ist, das Entstehen eines Erstattungsanspruchs selbst bei materieller Rechtswidrigkeit verhindern kann, weil er eine formelle Rechtsgrundlage der Beitragszahlung bildet (BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 AL 4/13 R). Die Verjährung eines solchen Erstattungsanspruchs ist in § 27 Abs. 2 und 3 geregelt. Bei Erstattungsansprüchen infolge rückwirkender Beitragsbefreiung hat der Versicherte es anders als bei Beanstandungen also in der Hand, den Erstattungsanspruch rechtzeitig vor seiner Verjährung auszulösen. Ein rückwirkender Erstattungsanspruch ist auch rückwirkend zu verzinsen, soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere also der vollständige Erstattungsantrag (BSG, Urteil v. 7.9.2017, B 10 LW 1/16 R).
Wenn einem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt wegen eines Schadensersatzanspruchs des Arbeitgebers gekürzt wird, sind die zunächst für das gekürzte Arbeitsentgelt entrichteten Beiträge nicht zu Unrecht entrichtet worden. Es handelte sich nach dem Urteil des BSG v. 21.5.1996 (12 RK 64/94) nicht um eine Minderung des Arbeitsentgelts, sondern um einen Schadensersatzanspruch mit der Folge, dass eine Erstattung der für das gekürzte Arbeitsentgelt entrichteten Beiträge nicht möglich ist.
Eine Erstattung von Beiträgen ist nach dem Urteil des BSG v. 7.2.2002 (B 12 RK 13/01 R) auch dann ausgeschlossen, wenn Arbeitsentgelt gezahlt worden ist und dieses im Nachhinein abgesenkt wird, weil im Rahmen eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses nach Auffassung des Finanzamts das Arbeitsentgelt steuerrechtlich unangemessen hoch war. Daher wurde das Arbeitsentgelt rückwirkend nach unten "angepasst". Für die Bemessung der Beiträge ist nach dem angeführten Ur...