2.1 Konkurrenzen
2.1.1 Verhältnis zu § 116
Rz. 5
Soweit die Voraussetzungen von § 115 und § 116 vorliegen, etwa der Sozialleistungsträger Krankengeld wegen einer durch einen Dritten verursachten Arbeitsunfähigkeit leistet und der Arbeitgeber seiner Entgeltfortzahlungspflicht nicht nachkommt, kann der Sozialleistungsträger wahlweise gemäß § 115 (beim Arbeitgeber) oder gemäß § 116 (beim Schädiger) Rückgriff nehmen. Wenn und soweit der Rückgriff auf den Arbeitgeber erfolgt, geht der Anspruch des Sozialleistungsträgers nach § 116 nicht gemäß § 6 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auf den Arbeitgeber über. Der Sozialleistungsträger ist jedoch verpflichtet, diesen Anspruch an den Arbeitgeber abzutreten, damit dem Rechtsgedanken des § 6 EFZG Rechnung getragen wird (Kater, in: KassKomm. SGB X, 101. EL 2018, § 115 Rz. 4).
2.1.2 Weitere Konkurrenzen
Rz. 6
Gegenüber § 115 vorrangig sind im Arbeitsförderungsrecht § 169 Satz 1 SGB III im Bereich des Insolvenzgelds und im sozialen Entschädigungsrecht § 16h Satz 1 BVG im Rahmen des Versorgungskrankengelds. Nachrangig sind hingegen die Bestimmungen in § 27g Abs. 1 Satz 1 BVG und in § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, soweit die jeweilige Sozialleistung anstelle des Arbeitsentgelts erbracht worden ist. Bei Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII dürfte dies regelmäßig zu verneinen sein. § 22 Abs. 5 WoGG schließt eine Anwendung von § 115 aus. § 33 Abs. 5 SGB II bestimmt hingegen ausdrücklich den Vorrang von § 115. Bei § 33 Abs. 5 SGB II handelt es sich um einen Anwendungs- und nicht um einen Ausschließungsvorrang. Soweit ein Anspruchsübergang nach § 115 nicht eintritt, bleibt ein Übergang nach § 33 SGB II möglich (LSG Hessen, Urteil v. 14.3.2014, L 9 AS 90/11, juris Rz. 36). § 115 gilt weiter nicht im Recht der Unterhaltsvorschüsse und der Leistungen für einen Unterhaltsausfall. Insoweit beruht die Erbringung von Sozialleistungen auf der Pflichtverletzung des Unterhaltsverpflichteten, nicht jedoch auf dem Umstand, dass sein Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt zahlt; es fehlt an einer unmittelbaren Kausalität.
2.2 Voraussetzungen des Anspruchsübergangs
Rz. 7
Soweit der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitsentgelt nicht nachkommt, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach § 115 kraft Gesetzes insoweit auf den Leistungsträger über, als dieser Sozialleistungen erbracht hat. Der Anspruchsübergang ist demnach von 3 Voraussetzungen abhängig:
- Bestehen eines fälligen Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers, den der Arbeitgeber nicht erfüllt,
- Bezug von Sozialleistungen durch den Arbeitnehmer und
- Kausalität zwischen Nichterfüllung und Leistungsbezug
(Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 08/2016, § 115 Rz. 8 ff.).
2.2.1 Fälliger Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, den der Arbeitgeber nicht erfüllt
Rz. 8
Von § 115 erfasst wird nur der fällige Anspruch auf Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV, auf den ein Rechtsanspruch besteht. Unbeachtlich ist, ob sich der Anspruch des Arbeitnehmers aus einer arbeits-, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Regelung ergibt. Es dürfen keine Einwendungen gegen den Arbeitsentgeltanspruch bestehen. Ausreichend ist, wenn sich der Arbeitgeber im Leistungsverzug befindet; eine endgültige Leistungsverweigerung ist nicht erforderlich (Bieresborn, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 115 Rz. 3). Bei der Zahlung einer sittenwidrig niedrigen Vergütung (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 17.4.2012, 5 Sa 194/11), Verstößen gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) und equal-pay-Ansprüchen von Leiharbeitnehmern (§ 8 AÜG) findet § 115 ebenfalls Anwendung (Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 08/16, § 115 Rz. 23). Zum Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV zählen auch einmalige Leistungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld sowie ein vereinbarter Urlaubsabgeltungsanspruch (BAG, Urteil v. 14.3.2006, 9 AZR 312/05; SG Lüneburg, Urteil v. 3.11.2009, S 7 AL 226/08). Wie einmalige Leistungen zu beurteilen sind, regelt sich nach dem Arbeitsvertrag, so dass auch ggf. der gesamte Auszahlungsbetrag zum Arbeitsentgelt gerechnet werden kann und damit von § 115 erfasst wird. Eine zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarte Abfindung geht nur dann nach § 115 über, wenn sie Arbeitsentgeltcharakter hat und nicht lediglich eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellt (LSG Hessen, Urteil v. 14.3.2014, L 9 AS 90/11). § 115 Abs. 3 regelt den Fall, dass ein Arbeitgeber seinen Leistungsverpflichtungen, die in Sachbezügen bestehen, nicht nachgekommen ist. Da Sachbezüge ebenso wie Geldleistungen Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV sind, jedoch ein solcher Forderungsübergang nicht sinnvoll ist, tritt an seine Stelle der Anspruch auf Geld. Die Höhe bestimmt sich nach der auf Grundlage des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IV erlassenen Sozialversicherungsentgeltverordnung.
2.2.2 Bezug von Sozialleistungen durch den Arbeitnehmer
Rz. 9
Der Arbeitnehmer muss Sozialleistungen bezogen haben. Entscheidend ist die tatsächliche Auszahlung. Die Leistungserbringung muss rechtmäßig sein. Eine rechtswidrige Leistungserbringung führt nicht zu einer Legalzession. Der Sozialleistungsträger ist bei einer rechtswidrigen Leistungserbringung auf Ers...