Rz. 18
Die Vermutungsregelung umfasst 3 Schadensgruppen:
- Schäden infolge erforderlicher Vor- oder Nachbehandlungen. Sie stellen mittelbare Unfallfolgen i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 dar, welche bei Durchführung einer Heilbehandlung eintreten.
- Spätschäden als "Aus- oder Nachwirkungen" der Spende, beispielsweise die schicksalhafte Entwicklung eines Bluthochdrucks infolge Überlastung der verbliebenen Niere.
- Die weiteren Spätschäden als "Aus- oder Nachwirkungen" des aus der Spende resultierenden Gesundheitsrisikos, etwa der zum Tode führende Verlust der verbliebenen Niere aufgrund einer spendenunabhängigen Erkrankung.
Rz. 19
§ 12a Abs. 1 erfasst nur gesundheitliche Schäden des Spenders, die über die durch die Blut-, Organ-, Organteil- oder Gewebeentnahme regelmäßig entstehenden Beeinträchtigungen hinausgehen und in ursächlichem Zusammenhang mit der Blut-, Organ-, Organteil- oder Gewebeentnahme stehen. Während bei den Versicherungsfällen der §§ 8, 9, 10 und 11 der Versicherte den Kausalitätsnachweis führen muss, wird zugunsten des Spenders die Kausalität zwischen Nachbehandlungen im Zusammenhang mit der Spende, die Ursächlichkeit von Spätschäden, die kausalen speziellen Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des sich aus der Spende ergebenden erhöhten Krankheitsrisikos und des Gesundheitsschadens gesetzlich nach § 12a Abs. 1 Satz 2 vermutet (Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 12a Rz. 4).
Überlastung der verbleibenden Niere, Bluthochdruck als Folge einer Nierenspende oder Erkrankung der einzig verbliebenen Niere nach Nierenspende mit Gesundheitsfolgen bis zum versterbendes Spenders, sind von dem Gesundheitsschadensbegriff des § 12a Abs. 1 Satz 2 umfasst.
Rz. 20
Der Sinn der Vermutungsregel liegt darin, zugunsten des Spenders eine Folgenzurechnung vorzunehmen, wenn zweifelhaft ist, ob die Behandlungen unfallbedingt sind oder ob die fraglichen Schäden als Spätschäden oder Auswirkungen des spendenbedingten Gesundheitsrisikos anzusehen sind. Fraglich ist, ob die Vermutung nur zur Anwendung kommt, wenn die eingetretenen Gesundheitsstörungen überhaupt als wenigstens "mögliche" Folgen anzusehen sind (so Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 12a Rz. 8; auch Krasney, SGB VII, § 12a Rz. 6). Dafür spricht der Wortlaut "mögliche" und die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/9773, Begründung S. 77), indem sie sich auf Schäden bezieht, die sich "ergeben können". Diese Möglichkeit muss nach medizinischen empirisch belegten Erkenntnissen gegeben sein. Erst wenn dies der Fall ist, greift also die Vermutung.
Rz. 21
Der maßgebliche Zeitpunkt der medizinischen Erkenntnisse ist anhand der Rechtsprechung zu § 63, welche Vorbildfunktion für § 12a hat, zu ermitteln (vgl. BT-Drs. 17/9773, Begründung S. 77; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 12a Rz. 8). Zu § 63 ist für die Beurteilung der medizinischen Erkenntnisse nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 12.1.2010, B 2 U 5/08 R, NZS 2011 S. 35; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil v. 19.2.2014, L 8 U 40/11, NZS 2014 S. 388 LS, Volltext nur juris), wenn Hinterbliebene den Anspruch geltend machen maßgeblich, ob die medizinischen Erkenntnisse im Zeitpunkt des Versicherungsfalles – dort dem Tod eines Versicherten infolge eines Versicherungsfalls – vorlagen. Weiter hat der Zweite Senat des BSG im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssten sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei. Ob im Fall des § 12a zu differenzieren sein wird, ob Versicherte oder Hinterbliebene die Ansprüche geltend machen, ist derzeit offen. Der Gesetzeszweck der Privilegierung des – im Regelfall altruistischen – Spenders könnte für den im Regelfall für den Spender günstigeren Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch sprechen.