Rz. 3
Die Vorschrift bezieht Kinder, Lernende und Teilnehmer an Untersuchungen (Abs. 1), Pflegebedürftige und Pflegepersonen (Abs. 2), Personen beim Zusammenwirken von Rettungs- und Zivilschutzmaßnahmen (Abs. 3) und Schädiger von versicherten Unternehmensbesuchern (Abs. 4) mit in die Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 ein.
2.1 Kinder, Lernende und Teilnehmer an Untersuchungen
Rz. 4
Lernende, Untersuchte und Prüflinge, Kinder, Schüler und Studenten verrichten keine betrieblichen Tätigkeiten, weil die Tätigkeiten nicht einem Unternehmen zu dienen bestimmte sind, sondern sind i. d. R. von eigennützigem Interesse. Sie nutzen lediglich das Unternehmen. Es bedarf deshalb einer besonderen gesetzlichen Regelung, die diesen Personenkreis in die Haftungsprivilegierung mit einbezieht. Der häufigste Anwendungsfall des Abs. 1 sind Schulunfälle.
2.1.1 Betrieb Schule als Gefahrengemeinschaft
Rz. 5
Nach Nr. 1 sind Versicherte untereinander haftungsprivilegiert. Damit sind Lernende, zu Untersuchende, Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler und Studenten (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 8) gemeint, die sowohl Schädiger als auch Geschädigte sein können, wobei sich das Privileg nur auf die jeweilige Gruppe untereinander bezieht (Schüler/Schüler; Student/Student usw.). In diesen Situationen ist es, anders als bei Nr. 2 und Nr. 3, nicht notwendig, dass die betroffenen Versicherten demselben Unternehmen angehören müssen (Krasney, in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 106 Rz. 8; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 4.3; jetzt auch Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 106 Rz. 4). Dies ergibt sich unmittelbar aus dem unterschiedlichen Wortlaut der Nr. 1 zu Nr. 2 und 3. Diese einzig mögliche Auslegung (Krasney, NZS 2004 S. 68, 69) erscheint auch zweckmäßig, da Lernen bei zunehmender Spezialisierung immer häufiger in Kooperationen mit anderen Schulen und Schulträgern stattfindet und somit Gefahrengemeinschaften von ganz unterschiedlicher Struktur gebildet werden. Auch der Schüler der städtischen Gesamtschule A und der Schüler der Privatschule B, die zusammen am gemeinsam organisierten Chemieunterricht beider Schulen teilnehmen, sind also einander haftungsprivilegiert.
Rz. 6
Nr. 2 und 3 umfassen Schädigungssituationen z. B. zwischen Schülern und anderen Betriebsangehörigen wie Lehrer, Professoren, Hausmeister, Techniker und umgekehrt. Diese müssen nicht Versicherte i. S. d. Unfallversicherung sein, so dass auch verbeamtete Betriebsangehörige wie Lehrer und "Wie-Arbeitnehmer" wie z. B. Eltern, die bei einer Schulveranstaltung i. S. d. schulischen Auftrags tätig werden, Schädiger und Geschädigte sein können (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 5; Schmitt, SGB VII, § 106 Rz. 5; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 106 Rz. 7). In dieser Wechselbeziehung muss es sich aber um Betriebsangehörige desselben Unternehmens handeln. Diese eher verwirrende als abgrenzende Begrifflichkeit wird vom BGH (Urteil v. 26.11.2002, VI ZR 449/01) so ausgelegt, dass damit Angehörige z. B. derselben Schule oder Angehörige derselben Universität gemeint sind. Die Zugehörigkeit zum selben Träger (Unternehmen) reicht nicht aus (zustimmend Brackmann/Krasney, SGB VII, § 106 Rz. 9; wohl auch Schmitt, SGB VII, § 106 Rz. 5). Daraus ergibt sich, dass der Schüler der Schule A, der den Lehrer der Schule B schädigt, nicht nach Abs. 1 haftungsprivilegiert ist. Es werden aber alle Unternehmensteile, die dem "Betrieb Schule" dienen, mit einbezogen: Haftungsprivileg für Mitarbeiter einer Sportanlage und Schüler, die diese zu Unterrichtszwecken nutzen, wobei die Schule und die Sportanlage beide vom selben Träger betrieben werden (BGH, a. a. O.).
2.1.2 Betriebliche Tätigkeit in der Schule
Rz. 7
Die schädigende Handlung, für deren Folgen das Haftungsprivileg eingreift, muss eine betriebliche sein. Dieser Begriff ist für den jeweiligen Schul- und Lehrbetrieb anzupassen und umfasst jede Teilnahme an den angebotenen Bildungsmaßnahmen. Damit sind alle Handlungen, die auf der typischen Gefährdung aus schulischem Kontakt beruhen und deshalb einen inneren Bezug zum Schulbesuch aufweisen, gemeint (BGH, Urteil v. 28.4.1992, VI ZR 284/91). Bei Kindern ist der Begriff je nach Alter und Reifegrad entsprechend weiter zu fassen. Es ist kindspezifisch, oft unüberlegt und ohne Ansehung der möglichen Folgen zu handeln. So gehören auch Raufereien, Neckereien und kindspezifische Spiele zu den versicherten Tätigkeiten, es sei denn, die Grenze zum Atypischen wird überschritten. Mangelnde Erfahrung der Betreffenden aufeinander Rücksicht zu nehmen, sich in eine nicht selbst gewählte Gruppe einzufügen, der natürliche Spieltrieb, mangelnde Beherrschung von Aggressionen sind insoweit als typisch zu betrachten (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 4.1; Beispiele bei Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 106 Rz. 5: Beinstellen, Werfen mit Papier- oder Aluminiumkugeln, Werfen von Feuerwerkskörpern, Taschenmesserverletzung und Ähnliches).
Rz. 8
Trotz oder gerade wegen dieser weiten Bestimmung muss die schädigende Handlung schulbezogen bzw. ausbildungsbezogen sein. Der innere Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Schulsituat...