Rz. 4
Arbeitsgerichte und Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die über Schadensersatzansprüche der in §§ 104 bis 107 genannten Art zu entscheiden haben, sind an die unanfechtbar gewordene Beurteilung des Unfallversicherungsträgers und ggf. des angerufenen Sozialgerichts gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, welche Leistungen zu erbringen sind und welcher Unfallversicherungsträger zuständig ist. Liegt noch keine die Parteien des Zivilgerichts bindende bzw. noch keine unanfechtbar gewordene Entscheidung des Unfallversicherungsträgers vor, hat das Zivilgericht (ohne Ermessen) sein Verfahren auszusetzen.
2.1 Bindung der Gerichte
Rz. 5
Die Norm richtet sich an Arbeitsgerichte und je nach Streitwert an die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, soweit sie über den Ersatz von Personenschäden zu entscheiden haben, die im Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden sind. Bei Streitigkeiten über den Ersatz von Sachschäden gilt die Vorschrift nicht (Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 108 Rz. 2). Arbeitsgerichte sind typischerweise zuständig bei Streitigkeiten um Schadensersatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und zwischen Arbeitnehmern untereinander (Hauck/Kranig, SGB VII, § 108 Rz. 4 mit Hinweis auf § 2 Abs. 1 ArbGG). Die Zuständigkeit der Zivilgerichte kommt in allen übrigen Fällen in Betracht, z. B. bei den Ersatzansprüchen nach §§ 110 und 111, für die die Vorschrift gemäß § 112 ebenfalls gilt.
Rz. 6
Bindung bedeutet, dass ein Gericht außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit von den Feststellungen des Unfallversicherungsträgers ausgehen muss. Eine Bindung tritt auch ein, wenn die unanfechtbare Entscheidung erst während des Revisionsverfahrens vor dem Zivilgericht vorliegt. Die eintretenden Grenzen der Sachprüfung gelten auch im Revisionsverfahren (Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 108 Rz. 6 mit Hinweis auf BGH, Urteil v. 19.10.1993, VI ZR 158/93; ebenso Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 108 Rz. 4). Bindung tritt auch ein für zivilrechtliche Verfahren aus übergeleitetem Recht (BGH, Urteil v. 12.6.2007, VI ZR 70/06; BGH, Urteil v. 30.5.2017, VI ZR 501/16). Die Zivil- und Arbeitsgerichte haben die Bindungswirkung von Amts wegen zu beachten (BGH, Urteil v. 22.4.2008, VI ZR 202/07). Über alles, worauf sich die Bindungswirkung nicht erstreckt, entscheiden die Zivilgerichte frei.
2.1.1 Unanfechtbare Entscheidung
Rz. 7
Bei der die Zivilgerichte bindenden Entscheidung kann es sich um eine Verwaltungsentscheidung oder ein Anerkenntnis des zuständigen Unfallversicherungsträgers, um einen Vergleichsvertrag oder eine Entscheidung des Sozialgerichts handeln (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 108 Rz. 4). Die Entscheidung muss im Verhältnis Unfallversicherungsträger – Verletzter (oder Hinterbliebene) ergangen sein. Entscheidungen in anderen Verfahren reichen nicht aus, wie sich aus der Formulierung "nach diesem Buch" ergibt. Ob es sich bei der unanfechtbaren Entscheidung in einem Erstattungsstreit zwischen dem Unfallversicherungsträger und einer Krankenkasse um eine Entscheidung "nach diesem Buch oder nach dem Sozialgerichtsgesetz" handelt, ist in der Literatur umstritten (dagegen: Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 108 Rz. 4; Krasney, in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 108 Rz. 8). Nach Sinn und Zweck des § 108 wird es nach anderer Auffassung dann für geboten erachtet, auch in solchen Verfahren die Bindungswirkung zu bejahen, wenn der Verletzte zu diesem Verfahren beigeladen wurde, sodass die Entscheidung auch ihm gegenüber gilt (Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 108 Rz. 5; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 108 Rz. 2). Der BGH (Beschluss v. 20.12.2005, VI ZB 78/04) hat entschieden, in einem Rechtsstreit zwischen dem Sozialversicherungsträger des Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer des Schädigers über einen Anspruch aus einem Teilungsabkommen sei § 108 nicht analog anzuwenden. Streitgegenstand seien nicht unmittelbare Schadensersatzansprüche, sondern die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung des Teilungsabkommens erfüllt seien.
Rz. 8
Es muss nicht zwingend eine Entscheidung eines Sozialgerichts erwirkt werden, um die Bindungswirkung zu erzeugen. Es reicht auch eine für die Betroffenen unanfechtbare Entscheidung des Unfallversicherungsträgers aus. Unanfechtbar sind solche Entscheidungen, gegen die es keine Rechtsbehelfe mehr gibt und die deshalb nach § 77 SGG bestandskräftig geworden sind. Sozialgerichtliche Entscheidungen müssen rechtskräftig nach § 141 SGG. Rechtskraft tritt ein, wenn ein Rechtsmittel, Berufung, Revision oder Beschwerde, dagegen nicht gegeben ist, sonst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder mit Rechtskraft der über das Rechtsmittel ergehenden Entscheidung. Vergleiche und Anerkenntnisse müssen nach § 101 SGG wirksam geworden sein (Grüner, in: LPK-SGB VII, § 108 Rz. 3). Die Möglichkeit eines Antrags nach § 44 SGB X schließt die Bestandskraft nicht aus (Krasney, NZS 2004 S. 71 mit Hinweis auf BGH, Urteil v. 4.4.1995, VI ZR 327/93). Die nach §§ 104 bis 107 privilegierten Schädiger werden nicht immer an den Verfahren zwischen U...