Rz. 26
Der Sozialversicherungsträger kann gemäß Abs. 2 ganz oder teilweise auf den Ersatzanspruch verzichten. Die Verzichtsermächtigung bezieht sich sowohl auf Ansprüche nach Abs. 1 wie auch auf solche nach Abs. 1a (Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 110 Rz. 19; Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 110 Rz. 23). Über den Verzicht ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen:
- Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Schuldners: Die Existenz des Schädigers soll nicht gefährdet oder unzumutbar belastet werden (Ricke, in: Beck OGK, SGB VII, § 110 Rz. 24a). Existenzvernichtende Ersatzforderungen sind zu vermeiden (Hillmann, in: JurisPK-SGB VII, § 110 Rz. 29). Dort, wo eine Haftpflichtversicherung den Schaden ausgleicht, ist kein Raum für einen Verzicht (Grüner, in: LPK-SGB VII, § 110 Rz. 24). Leistungen Dritter aus einem (z. B. gewerkschaftlichen) Unterstützungsfond sind nicht zu berücksichtigen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 110 Rz. 10.1 mit Hinweis auf BGH, VersR 1979 S. 1151). Mit zu berücksichtigen sind auch die Belange der Familienangehörigen (Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 110 Rz. 19 mit Hinweis auf BGH, Entscheidung v. 18.10.1977, VI ZR 62/76).
- Die wirtschaftlichen Belange der Solidargemeinschaft: Hier ist die Höhe des Schadens zu berücksichtigen und die Frage, ob es zumutbar erscheint, dass die Gemeinschaft angesichts der konkreten Situation mit der Tragung des Schadens belastet werden darf.
Schwere der Schuld
(Schmitt, SGB VII, § 110 Rz. 21; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 110 Rz. 10).
- Mitverschulden des Geschädigten oder ggf. des Sozialversicherungsträgers (Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 110 Rz. 19).
Rz. 27
Liegen die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung gegen die Geltendmachung des Regresses vor, ist der Sozialversicherungsträger nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, auf den Regress zu verzichten (Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 110 Rz. 19; Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 110 Rz. 24; Ricke, in: Beck OGK, SGB VII, § 110 Rz. 26 mit Hinweis auf BGH, NJW 1972 S. 107). Die Ermessensentscheidung ist kein Verwaltungsakt und kann deshalb nicht isoliert vor den Sozialgerichten überprüft werden (BSG, Urteil v. 11.12.1973, 2 RU 30/71). Der Entschluss, den Regress geltend zu machen und ggf. einzuklagen, wird inzidenter durch das angerufene Zivilgericht geprüft (Hillmann, in: JurisPKSGB VII, § 110 Rz. 27; Hauck/Kranig, SGB VII, § 110 Rz. 26 mit Hinweis auf BSG, Urteil v. 11.12.1973, 2 RU 30/71; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 110 Rz. 11). Nach der Rechtsprechung des BGH überprüft das Gericht auch den Inhalt der Ermessensentscheidung selbst (BGH, Urteil v. 5.10.1983, IVa ZR 190/81), mit der Folge der Klageabweisung, wenn Verzichtsvoraussetzungen vorliegen. Die Verzichtsentscheidung wirkt nur gegen den Versicherungsträger, der sie getroffen hat (Schmitt, SGB VII, § 110 Rz. 23).
Rz. 28
Wegen des erhöhten Sanktionscharakters von Abs. 1a und der besonderen Verwerflichkeit des Handelns im Rahmen von Schwarzarbeit sind insoweit strengere Maßstäbe anzusetzen (Ricke, in: Beck OGK, SGB VII, § 110 Rz. 48). Diese können der Umfang der Schwarzarbeit, planvolles und zielgerichtetes Verhalten, Ausmaß des Schuldvorwurfs und die Höhe des Schadens sein. Bei nur geringfügiger Schwarzarbeit im Haushalt ist regelmäßig ein Verzicht angezeigt.