Rz. 131
Wählt der Versicherte einen längeren als den direkten Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit, behält aber die Zielrichtung bei, so wird dies als Umweg bezeichnet. Weicht der Versicherte von dem Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit ab und ändert die Zielrichtung in der Weise, dass er wieder an den Ort des Abweichens zurückkehren muss, um von dort den Weg zum oder von dem Ort der Tätigkeit fortzusetzen, so wird dies als Abweg bezeichnet. Vor allem das Umkehren auf dem versicherten Weg ist ein Abweg.
Rz. 132
Ganz kleine, privaten Zwecken dienende Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung des Weges führen, lassen den Versicherungsschutz nicht entfallen (BSG, Urteil v. 22.1.1957, 2 RU 92/55; Urteil v. 11.9.2001, B 2 U 34/00 R). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die private Besorgung im Bereich der Straße selbst, mithin "so im Vorbeigehen" erledigt wird (BSG, Urteil v. 30.3.1982, 2 RU 5/81; Urteil v. 19.10.1982, 2 RU 52/81). Dazu zählt es allenfalls, dass der Versicherte am Straßenrand an einem Verkaufskiosk eine Zeitung oder Ähnliches kauft, um sodann seinen Weg fortzusetzen (BSG, Urteil v. 2.7.1996, 2 RU 16/95).
Rz. 133
Ein Umweg, der nicht nur unbedeutend länger als der kürzeste Weg ist, lässt den Versicherungsschutz dann nicht entfallen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause zuzurechnen ist, wenn objektive Gründe dafür sprechen, den längeren Weg zu wählen. Solche mit der versicherten Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Gründe liegen vor, wenn der Versicherte den längeren Weg wählt, um eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen (BSG, Urteil v. 6.4.1960, 2 RU 247/56), weil bedingt durch die familiären Verhältnisse der Weg gewöhnlich von unterschiedlichen Aufenthaltsorten aus angetreten wird (BSG, Urteil v. 18.10.1994, 2 RU 31/93), um als Kraftfahrer vor Erreichen des verkehrsmäßig überfüllten Stadtzentrums an geeigneter Stelle zu parken (BSG, Urteil v. 29.4.1970, 2 RU 234/67), um den Schlüssel zum Werkzeugschrank zu holen (BSG, Urteil v. 19.10.1982, 2 RU 52/81).
Rz. 134
Geht oder fährt der Versicherte irrtümlich einen Umweg, so kommt es darauf an, ob spezifische Wegegefahren wie Dunkelheit oder schlechte Witterungsverhältnisse dafür maßgeblich sind (dann versichert) oder ob der Grund in der Person des Versicherten liegt, etwa dann, wenn er sich infolge des Gesprächs mit dem Beifahrer verfährt (dann nicht versichert), es sei denn, das Gespräch stand im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (BSG, Urteil v. 2.6.1959, 2 RU 3/57; Urteil v. 9.12.1993, 2 BU 87/93).
Rz. 134a
Auf Kinder und Jugendliche im Schulalter lassen sich diese Grundsätze jedoch nicht uneingeschränkt übertragen. Aktivitäten, die dem natürlichen Spiel- und Nachahmungstrieb oder dem Gruppenverhalten von Schulkindern entspringen, werden vom Unfallversicherungsschutz erfasst, wenn sie in der jeweiligen Situation den üblichen Verhaltensweisen von Schülern des betreffenden Alters entsprechen. Das gilt auch für das Verhalten auf dem Schulweg, der zwar außerhalb des Verantwortungs- und Einflussbereichs der Schule liegt, vom Gesetz aber der versicherten Tätigkeit zugerechnet wird. Es ist nicht auf einen fiktiven "Durchschnittsversicherten", sondern auf die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Schülers abzustellen. Entscheidend ist, wieweit dieser aufgrund seines Alters und seiner Persönlichkeitsentwicklung in der Lage war, vernünftig und zielgerichtet zu handeln und sich z. B. gruppentypischen Zwängen innerhalb seiner Klassengemeinschaft oder seiner "Clique" zu entziehen (BSG, Urteil v. 30.10.2007, B 2 U 29/06 R).
Ein 8-jähriger Schüler verließ den Bus jedoch nicht wie sonst an der ca. 230 Meter von der Familienwohnung entfernten Haltestelle "M-Straße", sondern wegen Unaufmerksamkeit erst 2 Haltestellen weiter an der Haltestelle "B-Straße", von der aus der Fußweg nach Hause ca. 550 Meter beträgt. Auf dem verlängerten Nachhauseweg wurde er beim Überqueren der W-Straße von einem Pkw erfasst und erlitt einen Oberschenkelbruch und ein Schädelhirntrauma (BSG, a. a. O.).
Rz. 135
Bei einem Abweg entfällt der Versicherungsschutz, sobald der Betreffende die Zielrichtung ändert, d. h. auch ein geringfügiger Abweg ist unversichert (BSG, Urteil v. 18.12.1969, 2 RU 19/68). Kehrt der Versicherte auf dem versicherten Weg um, so handelt es sich dabei ebenfalls um einen Abweg (BSG, Urteil v. 19.3.1991, 2 RU 45/90).