Rz. 52
Die Gesellschafter haben im kanadischen Recht weitaus geringeren Einfluss auf die Führung der Geschäfte als im deutschen GmbH-Recht; insoweit steht das kanadische Gesellschaftsrecht dem deutschen Aktiengesetz näher als dem GmbH-Gesetz. Der Board of Directors ist das zentrale Leitungsorgan und seine Bedeutung zeigt sich in Rechten, die über die eines Geschäftsführers nach deutschem Verständnis deutlich hinausgehen, etwa dem Recht, der Übertragung von Geschäftsanteilen im Interesse der Gesellschaft zu widersprechen. Nach dem Gesetz können die Gesellschafter nur aufgrund einstimmiger Beschlüsse in die Geschäftsführung eingreifen bzw. sie übernehmen (Sect. 122 [2] und 146 CBCA). Dementsprechend ist der Einfluss der Gesellschafterversammlung im kanadischen Recht geringer als im deutschen GmbH-Recht, wenngleich es durchaus die Möglichkeit gibt, in den Articles of Association der Gesellschaft eine abweichende Gewichtung vorzusehen bis hin zu einer Gestaltung, in der die Direktoren nur in völliger Abhängigkeit von den Gesellschaftern handeln können – dies allerdings um den Preis, dass die Gesellschafter anstelle der Direktoren in die persönliche Haftung geraten (ein Fall des "piercing the corporate veil").
Rz. 53
Gesellschafterversammlungen sind an dem in den By-Laws vorgesehenen Ort, mangels eines solchen an einem von den Direktoren zu bestimmenden Ort, abzuhalten (Sect. 132 [1] CBCA). Sie können mit Zustimmung aller Gesellschafter oder dann, wenn die Articles of Incorporation dies ausdrücklich vorsehen, auch außerhalb Kanadas stattfinden (Sect. 132 [2] CBCA). Das Recht von Ontario sieht davon leicht abweichend die Befugnis der Direktoren vor, eine Gesellschafterversammlung – soweit die Articles of Incorporation oder ein einstimmiger Gesellschafterbeschluss nichts anderes bestimmen – an jedem beliebigen Ort innerhalb oder außerhalb Ontarios – also auch im Ausland – einzuberufen (Sect. 93 [1] OBCA).
Rz. 54
Die Teilnahme auf "elektronischem Wege" (insbesondere durch Telefon- oder Videokonferenz) ist durch Sect. 132 (4) CBCA ausdrücklich zugelassen, wenn die By-Laws dies nicht ausschließen und die Gesellschaft die Voraussetzungen hierfür schafft. Die einberufenden Direktoren oder Gesellschafter können, wenn die By-Laws dies vorsehen, aber auch i.R.d. Einberufung festlegen, dass die gesamte Gesellschafterversammlung nur auf elektronischem Wege stattfinden soll, wenn sichergestellt ist, dass alle Teilnehmer untereinander kommunizieren können (Sect. 132 [5] CBCA).
Rz. 55
Die erste Gesellschafterversammlung einer neu gegründeten Gesellschaft muss innerhalb von 18 Monaten stattfinden (Sect. 133 [1] [a] CBCA). Sowohl das Bundesrecht als auch das Recht von Ontario sehen sodann zeitliche Mindestabstände von 15 Monaten für alle weiteren Gesellschafterversammlungen vor (Sect. 133 [1] CBCA, Sect. 94 [1] OBCA), wobei nach Bundesrecht gegründete Gesellschaften unabhängig hiervon eine Gesellschafterversammlung innerhalb von sechs Monaten nach dem Ende jedes Geschäftsjahres abhalten müssen. Darüber hinaus können jederzeit außerordentliche Gesellschafterversammlungen einberufen werden.
Rz. 56
Die Einberufung der Gesellschafterversammlung erfolgt grundsätzlich durch die Direktoren der Gesellschaft. Gesellschafter, die insgesamt mindestens 5 % der ausgegebenen stimmberechtigten Anteile halten, können von den Direktoren die Einberufung einer Versammlung zur Behandlung bestimmter Tagesordnungspunkte verlangen (Sect. 143 [1] CBCA). Leisten die Direktoren dieser Aufforderung nicht binnen 21 Tagen Folge, so darf jeder derjenigen Gesellschafter, der die Aufforderung mit unterzeichnet hat, zur Gesellschafterversammlung einladen (Sect. 143 [4] CBCA). In besonderen Fällen kann die Einberufung auch auf Antrag eines Direktors oder eines Gesellschafters durch das Gericht erfolgen (Sect. 144 [1] CBCA).
Die Ladungsfrist ist auf Bundesebene nicht im CBCA selbst, sondern in den Canadian Business Corporation Rules (CBCR) geregelt. Nach Sect. 44 CBCR darf sie nicht weniger als 21 Tage und nicht mehr als 60 Tage betragen. Werden die Anteile der Gesellschaft nicht öffentlich ausgegeben bzw. gehandelt, so kann die Frist auch kürzer sein, wenn die Articles of Incorporation eine kürzere Ladungsfrist vorsehen (Sect. 135 [1.1] CBCA). Nach dem Recht von Ontario müssen dort gegründete Gesellschaften in jedem Fall eine Mindestfrist von 10 Tagen (bei Publikumsgesellschaften ebenfalls 21 Tage) einhalten; hier beträgt die maximale Einladungsfrist 50 Tage (Sect. 96 [1] OBCA).
Rz. 57
Die Direktoren können einen Stichtag festlegen, der für die Feststellung, wer im Rahmen der bevorstehenden Gesellschafterversammlung Mitgliedschaftsrechte (z.B. Stimmrecht, Gewinnbezugsrecht) ausüben darf und entsprechend einzuladen ist, maßgeblich ist (Sect. 134 [1] CBCA). Dieser Stichtag darf maximal 60 Tage vor dem Datum der Gesellschafterversammlung liegen (Sect. 43 [1] CBCR). Der Stichtag für die Feststellung, wer zu laden und wer stimmberechtigt ist, muss grundsätzlich wegen der obe...