A. Einführung
Rz. 1
Das Recht Kanadas hat sich im Wesentlichen aus dem englischen Recht entwickelt; teilweise hat es sich an Entwicklungen des US-amerikanischen Rechts angelehnt. Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts erfolgte eine erste Verselbstständigung im Jahre 1850 durch das "Gesetz zur Gründung von Kapitalgesellschaften". Kennzeichnend für dieses Gesetz war, dass Kapitalgesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen und die Haftung der Gesellschafter auf ihre Einlage beschränkt wurde.
Das heutige Gesellschaftsrecht Kanadas, das als eigenständig und modern bezeichnet werden kann, basiert auf dem 1970 in der Provinz Ontario in Kraft gesetzten Gesellschaftsgesetz, dem Ontario Business Corporations Act (OBCA). An ihn stark angelehnt war das 1975 in Kraft gesetzte Bundes-Gesellschaftsrecht, das im Wesentlichen durch den Canada Business Corporations Act (CBCA) geregelt wird. Die übrigen Provinzen haben in der Folge – mit einigen Ausnahmen – Gesetze erlassen, die dem Bundesrecht weitgehend folgen. Die nachfolgende Darstellung bezieht sich deshalb – soweit nicht Besonderheiten hinsichtlich einzelner Provinzen ausdrücklich angesprochen werden – auf die Regellungen des Bundes-Gesellschaftsrechts.
Rz. 2
Das kanadische Gesellschaftsrecht kennt (mit Ausnahme besonderer Rechtsformen wie der Not-For-Profit Corporation und der Cooperative, für die eigenständige gesetzliche Regelungen bestehen) nur eine Form der Kapitalgesellschaft, nämlich die Corporation. Diese kann durch unterschiedliche englisch- oder französischsprachige Bezeichnungen nach Wahl der Gründer als Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung ausgewiesen werden, beispielsweise durch die Worte "Limited", "Limitée", "Incorporated", "Incorporée", "Corporation" oder durch entsprechende Abkürzungen wie "Ltd.", "Ltée", "Inc.", "Corp." oder "S.A.R.F.". Historisch gelten die Gesetze, die das Recht der Kapitalgesellschaften regeln, einheitlich für alle Kapitalgesellschaften. Einen Unterschied zwischen einer personalistischen Kapitalgesellschaft (entsprechend der GmbH des deutschen Rechts) und einer kapitalistischen Gesellschaft (insbesondere im Sinne einer Publikumsgesellschaft, vergleichbar mit der deutschen Aktiengesellschaft) gibt es traditionell nicht. Dies bedingt, dass grundsätzlich auch für publikums- und börsennotierte Gesellschaften größere Gestaltungsfreiheiten bestehen als im deutschen Aktienrecht, während andererseits grundsätzlich auch kleinste Gesellschaften Beschränkungen unterlagen, die im Vergleich zu denen des GmbH-Rechts streng erscheinen. Das kanadische Gesellschaftsrecht hat versucht, den Unterschieden und Notwendigkeiten, die die unterschiedliche Größe von Kapitalgesellschaften mit sich bringt, grundsätzlich Rechnung zu tragen, indem etwa erleichternde Sonderregelungen für Gesellschaften mit weniger als 50 Anteilseignern eingeführt wurden. Diese für die Abgrenzung einer personalistischen Struktur wenig praktikable Grenze wurde inzwischen weit gehend aufgegeben; stattdessen sieht das Gesetz nun an vielen Stellen erleichternde Sonderregelungen für Gesellschaften vor, deren Anteile nicht öffentlich angeboten bzw. gehandelt werden. Nachfolgend sollen schwerpunktmäßig diejenigen Rahmenbedingungen und Regelungen dargestellt werden, die für personalistisch geprägte Kapitalgesellschaften maßgeblich sind. Auf die grundsätzlichen Regelungen für große Kapitalgesellschaften soll nur eingegangen werden, soweit dies im Einzelfall und insbesondere aus Gründen des besseren Verständnisses angezeigt erscheint.
Während man die kanadische Kapitalgesellschaft im Hinblick auf ihre historische Entwicklung und deshalb, weil sie sowohl eine personalistisch geprägte wie auch börsennotierte Gesellschaft sein kann, grundsätzlich als "Einheitsgesellschaft" bezeichnen kann, ist das kanadische Gesellschaftsrecht auf der anderen Seite von einem Dualismus geprägt, nämlich der parallelen Existenz von nach Provinzrecht einerseits und nach Bundesrecht andererseits gegründeten (derzeit ca. 300.000 Gesellschaften). Aufgrund seiner föderalen Struktur verfügt Kanada über die Rechtsordnungen der 10 Provinzen sowie über das Bundesrecht, so dass insgesamt 11 eigenständige Gesellschaftsrechte existieren. Eine Besonderheit hierunter stellt das durch das Civil Law geprägte Recht der Provinz Quebec dar, das aber inzwischen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts weitgehend dem Bundesrecht angenähert ist. Auf seine Regelungen soll – auch deshalb, weil die Unterschiede nicht tiefgreifend sind – im Rahmen dieser Darstellung nicht näher eingegangen werden.
Rz. 3
Für die Frage, ob eine Gesellschaft nach Bundes- oder Provinzrecht gegründet werden sollte, kommt es zunächst darauf an, wo sie tätig werden soll. Ist eine bundesweite Tätigkeit geplant, so ist grundsätzlich die Gründung einer Gesellschaft nach Bundesrecht der vorzuziehende Weg.
Soweit sich die Tätigkeit einer Gesellschaft im Wesentlichen auf eine Provinz beschränken soll, kann die Gesellschaft nach dem Recht dieser Provinz gegründet w...