Prof. Dr. Albert Lamarca i Marquès
A. Rechtsgrundlage und Einführung
Rz. 1
Das katalanische Erbrecht konstituiert ein vollständiges und unabhängiges Regelwerk, ohne dass ein Spezialitäts- oder Unterordnungsverhältnis zum spanischen Zivilrecht besteht. Gleichwohl regelt das Zivilrecht nicht alle Aspekte der Erbfolge im weiteren Sinne. Die vorliegende Darstellung setzt die Existenz eines detaillierten Abschnitts über das Erbrecht in Spanien allgemein voraus; darauf wird – zur Vermeidung von Wiederholungen – zur Erläuterung derjenigen Aspekte Bezug genommen werden, die das katalanische Zivilrecht nicht regelt und für die deshalb spanisches Recht gilt. Der je nach Regelungsgegenstand unterschiedliche Ursprung der Gesetze in Spanien entspricht der gegenwärtigen Kompetenzverteilung zwischen dem Staat und den Autonomen Regionen. Für die hier zu behandelnde Materie sind von der Kompetenzaufteilung das Zivilrecht, das Internationale Privatrecht, das Prozessrecht und das Steuerrecht betroffen. In jedem Bereich kann das staatliche Recht ergänzend zu den Regelungen der Autonomen Regionen herangezogen werden.
B. Internationales Privatrecht
I. Das katalanische Zivilrecht in Spanien als Staat mit mehreren Gesetzgebungsorganen
Rz. 2
In Spanien bestehen für das Zivilrecht mehrere Gesetzgebungskompetenzen. Die Spanische Verfassung (Constitución Española – CE) von 1978 anerkennt und gewährleistet diese Vielfalt der Gesetzgebung in Art. 149.1.8 insofern, als sie den Autonomen Regionen mit eigenem Zivilrecht die alleinige Kompetenz für dessen Erhaltung, Änderung und Weiterentwicklung mit Ausnahme einiger Gegenstände, die der staatlichen Gesetzgebung vorbehalten sind, verleiht. Ebenso erkennt sie den Autonomiestatuts von Katalonien von 2006 (Estatut d‘Autonomia de Catalunya – EAC) in ihrem Art. 129 an. In Spanien diskutieren die Vertreter der Vereinheitlichung der Gesetzgebung und diejenigen, die die Verschiedenheit des Zivilrechts in den Gebieten auf Grundlage unterschiedlicher juristischer Traditionen verteidigen, heftig über die Anerkennung dieser Vielfalt.
Rz. 3
Das katalanische Zivilrecht wurde mit dem Gesetz 40/1960 vom 21. Juli, die sog. Gesetzeskompilation des besonderen katalanischen Zivilrechts, in moderner Form kodifiziert. Diese wurde in einer Zeit verabschiedet, die für die gesetzgeberische Vielfalt nicht unbedingt förderlich war. Die Regelung war bis zum Jahr 1984 in Kraft, in dem diese nach der Wiedererlangung der politischen Autonomie vom katalanischen Gesetzgeber in Anpassung an die Verfassung reformiert wurde. Seit dieser Zeit hat das katalanische Zivilrecht eine wesentliche Weiterentwicklung mit dem Ziel erfahren, ein katalanisches Bürgerliches Gesetzbuch auszuarbeiten (Codi civil de Catalunya – CCCat). Dessen erstes Gesetz wurde im Jahr 2002 verabschiedet; es enthielt gesetzgeberische Struktur und Technik sowie Buch I. Dem gesetzgeberischen Programm folgend, sind die verschiedenen Bücher des katalanischen Bürgerlichen Gesetzbuches erlassen worden: Buch V zum Sachenrecht (2006), Buch III zur juristischen Person (2008), Buch IV zum Erbrecht (2008), Buch II zur natürlichen Person und zum Familienrecht (2010) und Buch VI zum Schuld- und Vertragsrecht (2017). In Katalonien besteht in der juristischen Fachwelt Einigkeit über die Notwendigkeit einer möglichst weitgehenden Entwicklung eines eigenen Zivilrechts. Diese weitgehende Entwicklung des katalanischen Zivilrechts ist das gemeinsame Werk von Generationen von Juristen, sowohl Akademikern als auch Praktikern. In der Praxis ist es in Katalonien nicht üblich, das katalanische Zivilrecht als derecho foral (regionales Recht) und das spanische Recht als derecho común (gemeinsames Recht) zu bezeichnen, da dies ein Abhängigkeits- oder Spezialitätsverhältnis vermuten lässt, auch wenn diese Bezeichnung in den restlichen Teilen Spaniens und im Ausland durchaus verwendet wird.
II. Die Anwendung des katalanischen Zivilrechts auf Ausländer
Rz. 4
Trotz der Vielzahl der Fälle in der Praxis der gesetzgeberischen Vielfalt hält das spanische Recht kein ausgereiftes und an die tatsächlichen Erfordernisse angepasstes System zur Lösung von Gesetzeskollisionen zwischen den regionalen Regelungen bereit. Nach 149.1.8 CE hat der autonome Gesetzgeber der jeweiligen Region die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Zivilrechts; jedoch fällt die Gesetzgebung für innerstaatliche oder internationale Kollisionsfälle in die ausschließliche Kompetenz des Staates. Dies bedeutet in der Praxis, dass die Kollisionsnormen einseitig vom Staat bestimmt werden, ohne dass ein multilaterales System eigener Vorschriften jeder Autonomen Region mit ei...