Leitsatz
Mit Beschluss vom 4.10.2007 entschied das OLG München, dass eine in Deutschland errichtete GmbH ihren Satzungssitz nicht existenzwahrend ins Ausland verlegen kann. Da das GmbH-Recht zwingend einen in ihrer Satzung bestimmten inländischen Gesellschaftssitz voraussetzt (§ 4a GmbHG), kann die Verlegung des statutarischen Sitzes nicht in das Handelsregister eingetragen werden.
Die Verweigerung des existenzwahrenden Wegzugs einer deutschen Kapitalgesellschaft in ein EU-Mitgliedstaat verletzt auch nicht das Recht der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EGV).
Hinweis
Beginnend mit der Entscheidung "Centros" (Rs. C-212/97) im Jahr 1999 hat sich der EuGH vermehrt der Frage der Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften gewidmet. Seit den EuGH-Entscheidungen "Überseering" (Rs. C-208/00) im Jahr 2002 und "Inspire Art" (Rs. C-167/01) im Jahr 2003 steht fest, dass der Aufnahmestaat eine zuziehende Kapitalgesellschaft eines EU-Mitgliedstaats rechts- und existenzwahrend anzuerkennen hat. Ebenso wie für die Rechts- und Parteifähigkeit hat der EuGH in diesen sog. Zuzugsfällen das Recht des Gründungsstaats der Gesellschaft für das Mindestkapital und die Geschäftsführerhaftung für anwendbar erklärt - die Grundlage für den Boom der englischen Limited in Deutschland.
Ganz anders in den sog. Wegzugsfällen, in denen z.B. deutsche Gesellschaften ins Ausland streben. Das OLG München ist in seinem Beschluss der obergerichtlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der juristischen Literatur gefolgt, nach der jede deutsche Kapitalgesellschaft zwingend einen inländischen Satzungssitz benötigt (§ 4a GmbHG, § 5 AktG). Ohne inländischen Satzungssitz wird die Gesellschaft nicht in das Handelsregister eingetragen, entsteht also als GmbH oder AG nicht; eine entsprechende Satzungsänderung ist nichtig und wird vom Registergericht nicht eingetragen. Hieran wird auch das MoMiG nichts ändern, sondern im Gegenteil die Voraussetzung eines inländischen Satzungssitzes gesetzlich klarstellen.
Gegenstand zahlreicher Diskussionen ist jedoch die Frage, ob das Recht auf freie Niederlassung (Art. 43, 48 EGV) nicht den Wegzug des Verwaltungssitzes schützt. Das deutsche Gesellschaftsrecht lässt dies nach noch herrschender Auffassung nicht zu - erst der Entwurf des MoMiG soll dies zukünftig ändern. Auch der EuGH hat hierzu bislang keine Entscheidung getroffen. Die wesentlichen Entscheidungen "Centros", "Überseering" und "Inspire Art" betreffen ausschließlich Fälle des Zuzugs einer Gesellschaft. Die Entscheidungsgründe zielen jeweils allein auf die Sphäre des Aufnahmestaats ab und können daher nicht als Begründung für eine Wegzugsfreiheit dienen. Voraussetzung für die Sitzverlegung einer Gesellschaft ist deren rechtliche Existenz. Entfällt diese jedoch aufgrund der Vorschriften des Gründungsstaats, so ist die Gesellschaft nicht (mehr) in der Lage, von dem Recht der freien Niederlassung Gebrauch zu machen - in diese Richtung argumentierte der EuGH in der bislang einzigen Entscheidung zu einem Wegzugsfall "Daily Mail" (Rs. C-81/87) aus dem Jahr 1988. Es sprechen jedoch viele Gründe dafür, dass auch der Wegzug des Verwaltungssitzes von der Niederlassungsfreiheit erfasst wird und der EuGH zukünftig einen entsprechenden Fall derart entscheiden wird. Denn Gesellschaften werden in Art. 48 EGV natürlichen Personen gleichgestellt und diese können ohne weiteres die Niederlassungsfreiheit gegen den Wegzugsstaat in Anspruch nehmen - um dogmatische Feinheiten (wie die Auflösung einer Gesellschaft bei Grenzübertritt) schert sich der EuGH üblicherweise nicht. Aktuell liegt dem EuGH in der Rechtssache "Cartesio" (Rs. C-210/06) eine so genannte Wegzugskonstellation zur Entscheidung vor, sodass demnächst Klarheit über diese Frage herrschen sollte.
Bis zu einer Entscheidung des EuGH sollten sich aber Kapitalgesellschaften darauf einstellen, nicht existenzwahrend ihren Verwaltungssitz aus Deutschland in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegen zu können und sollten dies allein schon aufgrund der damit verbundenen steuerlichen Risiken nicht tun. Die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland dürfte auch danach nicht zulässig sein, denn hierdurch wird "die Nationalität" einer Gesellschaft und das auf sie anwendbare Recht bestimmt. Will sie dies ändern, muss sie sich (z.B. durch grenzüberschreitende Verschmelzung nach der Verschmelzungsrichtlinie; die ursprünglich geplante Sitzverlegungsrichtlinie, die eine formwechselnde Satzungssitzverlegung vorsah, wird nach den neuesten Verlautbarungen der EU-Kommission nicht weiter verfolgt) in eine Rechtsform des Zuzugsstaats umwandeln.
Link zur Entscheidung
OLG München, Beschluss vom 04.10.2007, 31 Wx 036/07