Leitsatz
Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass Callcenter-Dienstleistungen, die zugunsten eines Organisators von Telefonwetten erbracht werden und die die Annahme der Wetten im Namen des Wettorganisators durch das Personal des Erbringers dieser Dienstleistungen einschließen, keine Wettumsätze im Sinn dieser Vorschrift darstellen und dass ihnen daher nicht die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung zugute kommen kann.
Normenkette
Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nr. 9b UStG)
Sachverhalt
Littlewoods organisierte Telefonwetten unter dem Namen "Bet Direct". Die Wetten werden ausschließlich telefonisch angenommen. Littlewoods beschloss, einen Teil seiner Aktivitäten auf ein Callcenter auszugliedern, und beauftragte Vertex, eine Organgesellschaft von United Utilities. Littlewoods wählte die Sport- und anderen Ereignisse aus, auf die gewettet werden kann, legt die Quoten fest, wertete die Wetten aus und verwaltete die damit zusammenhängenden Einnahmen und Ausgaben.
Vertex nahm nur die Anrufe entgegen und zeichnete die Wetten entsprechend den von Littlewoods aufgestellten Bedingungen auf. Sie verfügte insoweit über keinerlei Ermessensspielraum und trat nach außen nicht in Erscheinung. Verschiedene Vertragsstrafen waren für den Fall vorgesehen, dass Vertex bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einen Fehler begeht. Die Vergütung berücksichtigte weder die Zahl oder den Wert der eingetragenen Wetten noch deren Quote. Vertex trug im Zusammenhang mit den von Littlewoods angebotenen Wetten kein finanzielles Risiko.
Entscheidung
Die Entscheidung bestätigt die bisher vom EuGH aufgestellten Kriterien für Grenzen der Steuerfreiheit für ausgegliederte Leistungsteile. Die von Vertex erbrachte Dienstleistung erfüllte die wesentlichen Kriterien eines Wettumsatzes nicht.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft die Grenzen der Steuerfreiheit bei der Ausgliederung von Leistungsteilen und birgt insoweit eigentlich keine Überraschung.
1. Steuerbefreiungen sind eng auszulegen.
2. Die Auslegung der in Befreiungsvorschriften verwendeten Begriffe muss mit den Zielen der Befreiung übereinstimmen und dem Neutralitätsgrundsatz entsprechen.
3. Die Steuerbefreiung für Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele ist – so der EuGH – durch praktische Erwägungen veranlasst, da sich Glücksspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen. Die Befreiung für Glücksspiele soll nicht, wie es bei bestimmten im sozialen Bereich erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der Fall ist, diesen Tätigkeiten eine günstigere mehrwertsteuerliche Behandlung gewährleisten (Rd.Nr. 23). Dies ist bei der Anwendung zu berücksichtigen.
4. Die Rechtsprechung zur Befreiung von Umsätzen im Zahlungs- und Überweisungsverkehr (Art. 13 Teil B Buchst. d der 6. EG-RL; vgl. § 4 Nr. 8 UStG), nach der die Änderung der zwischen einem Erbringer von Dienstleistungen und seinem Kunden bestehenden rechtlichen und finanziellen Bindung eine spezifische Funktion von Umsätzen im Überweisungsverkehr ist, lässt sich nicht mutatis mutandis auf die in Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nr. 9b UStG) genannten Tätigkeiten übertragen, da die Ziele der beiden Befreiungen nicht gleich sind.
5. Es ist deshalb stets zunächst nach dem Ziel der Befreiung zu fragen und das Wesen der befreiten Umsätze zu konkretisieren. Die Glücksspielumsätze der genannten Befreiung sind gekennzeichnet durch die Einräumung einer Gewinnchance an die Wettteilnehmer und im Gegenzug die Hinnahme des Risikos, diese Gewinne auszahlen zu müssen (Rd.Nr. 26). Erfüllt eine Tätigkeit diese Wesensmerkmale nicht, fällt sie nicht unter die Befreiung.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-89/05 – United Utilities plc