Leitsatz
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchst. c der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass die darin normierte Mehrwertsteuerbefreiung nicht für die Leistung eines Arztes gilt, die in der Erstellung eines Gutachtens zum Gesundheitszustand einer Person im Hinblick darauf besteht, Anhaltspunkte zu gewinnen, die für oder gegen einen Antrag auf Zahlung einer Invaliditätspension sprechen. Dass der medizinische Sachverständige von einem Gericht oder einer Pensionsversicherungsanstalt beauftragt wurde, ist hierfür ohne Belang.
Normenkette
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nrn. 14 und 16 UStG)
Sachverhalt
In einem österreichischen arbeits-/sozialrechtlichen Verfahren gab das Gericht ein ärztliches Gutachten in Auftrag zum Gesundheitszustand der eine Invaliditätsversicherung beanspruchenden Klägerin. Das Gericht hatte Zweifel, ob der Arzt seine Leistungen zu Recht mit Mehrwertsteuer abrechnen durfte, und legte die Frage dem EuGH vor.
Entscheidung
Der EuGH zog noch einmal deutliche Grenzen für die Steuerbefreiung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Diese Grundsätze sind auch für die Auslegung des § 4 Nr. 14 und Nr. 16 UStG verbindlich.
Hinweis
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchst. b und c der 6. EG-RL bestimmt:
(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
...
b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden.
...
Diese Regelungen finden ihren Niederschlag in § 4 Nrn. 14 und 16 UStG. Schon im Urteil vom 14.9.2000, Rs. C-384/98 – D. – (Slg. 2000, I-6795) hatte der EuGH ausgeführt, dass medizinische Leistungen, die nicht in der Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, sondern in einem (dort anthropologisch-erbbiologischen Verwandschafts-) Gutachten, nicht unter die Befreiungsvorschrift fallen.
In der neuen Entscheidung wies er alle Ansatzpunkte für eine Differenzierung von Gutachten zurück: Mit dem Begriff der Heilbehandlung sind danach (nur) ärztliche Tätigkeiten erfasst, die einem therapeutischen Zweck dienen (Rz. 40), d.h. der Diagnose, der Behandlung und – soweit möglich – der Heilung von Krankheiten dienen (Rz. 39): Mit dem Zweck der Vorschrift, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken, stehe auch in Einklang die Befreiung von Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden (Rz. 40).
Ärztliche Leistungen, die nicht dem Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit dienen, sind von der Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Buchst. b und c der 6. EG-RL nicht erfasst. Die Erstellung ärztlicher Gutachten, die lediglich von wem auch immer (z.B. Gericht, Versicherung) als Grundlage einer Entscheidung benötigt werden, unterliegt der Umsatzsteuer.
Beachten Sie: Die Umsatzsteuerpflicht eines Teils der ärztlichen Leistungen eröffnet den anteiligen Vorsteuerabzug. Auf eine ggf. wegen des Vorsteuerabzugs günstigere Richtlinienregelung kann sich der Steuerpflichtige berufen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 20.11.2003, Rs. C-212/01 – Margarete Unterpertinger –