aa) Anknüpfungspunkt
Rz. 3
Als Anknüpfungspunkt für die Geschäftsfähigkeit schreibt Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB nunmehr den gewöhnlichen Aufenthalt der Person vor. Damit rückt das Gesetz von der bisherigen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ab, die insbesondere bei Mehrstaatlern, Geflüchteten und Vertriebenen zu rechtlichen Problemen führen konnte. Der Gesetzgeber ist hiermit einem (auch internationalen und europäischen) Trend gefolgt, die Anknüpfung an das Heimatrecht (Staatsangehörigkeit) durch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zu ersetzen. Hierbei soll der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes autonom nach nationalem Recht ausgelegt werden.
Rz. 4
Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ist auch vorzunehmen, soweit die Geschäftsfähigkeit der Person durch Eheschließung erweitert wird, Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Es gilt hier folglich Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB als allgemeine Kollisionsregel des deutschen IPR und nicht etwa das Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB. Dies entspricht dem bisherigen Rechtsverständnis, ist nunmehr in Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB ausdrücklich klargestellt.
Rz. 5
Die einmal erlangte Geschäftsfähigkeit wird durch einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht beeinträchtigt, Art. 7 Abs. 2 S. 3 EGBGB. Diese Vorschrift ist erforderlich, weil ein Statutenwechsel durch den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes grundsätzlich möglich ist. Ungeachtet eines solchen Statutenwechsels durch Umzug wird die erlangte Geschäftsfähigkeit rechtlich nicht beeinträchtigt. Dies entspricht im Ergebnis der bis zur Gesetzesreform geltenden Rechtslage. Es soll verhindert werden, dass eine Person, deren Geschäftsfähigkeit bereits gegeben gewesen ist, diese durch den Umzug verliert.
Rz. 6
Eine bei Ablauf des 31.12.2022 bestehende Geschäftsfähigkeit besteht fort, Art. 54 Abs. 1 EGBGB.
bb) Anknüpfungszeitpunkt
Rz. 7
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 EGBGB ist derjenige der Abgabe der Willenserklärung, die die Frage nach der Geschäftsfähigkeit aufgeworfen hat. Das Gleiche gilt für verfahrensrechtliche Erklärungen, deren Rechtswirksamkeit ebenfalls anhand der Geschäftsfähigkeit zu beurteilen ist.
cc) Rück- und Weiterverweisung
Rz. 8
Behandelt eine ausländische Rechtsordnung, auf die das deutsche IPR verweist, die Frage der Geschäftsfähigkeit abweichend, so wird dies wegen des allgemeinen Grundsatzes des Art. 4 Abs. 1 EGBGB relevant; eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung ist somit beachtlich. Dies spielt zum einen dann eine Rolle, wenn das ausländische IPR für das Geschäftsfähigkeitsstatut einen anderen Anknüpfungspunkt als das deutsche wählt, insbesondere wenn das Heimatrecht des Minderjährigen statt auf den gewöhnlichen Aufenthalt auf die Staatsangehörigkeit abstellt. Eine andere Ursache für einen renvoi kann darin liegen, dass die Rechtsordnung, auf die nach deutschem Recht verwiesen wird, die Geschäftsfähigkeit nicht selbstständig anknüpft, sondern als Teilbereich des Wirkungsstatuts behandelt, also das Statut zur Anwendung bringt, das für das Rechtsgeschäft gilt, hinsichtlich dessen die Frage der Geschäftsfähigkeit aufgeworfen ist. Insbesondere in England, aber auch in den USA und Kanada geht die Tendenz dahin, die Geschäftsfähigkeit für Schuldverträge nach dem "proper law of the contract" und für sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte nach der Lex rei sitae zu beurteilen. Auch auf solchen Qualifikationsunterschieden beruhende Rück- und Weiterverweisungen sind beachtlich. Sie führen insbesondere bei der Verweisung auf die Lex rei sitae hinsichtlich der Verfügungsgeschäfte dazu, dass hinsichtlich der dinglichen Rechtsgeschäfte über im Inland belegene Grundstücke die Frage der Geschäftsfähigkeit nach deutschem Recht zu beurteilen ist (§§ 104 ff. BGB).