Rz. 9
Die Ausgliederung des Geschäftsfähigkeitsstatuts als eigenständige Teilfrage wirft an mehreren Stellen Abgrenzungsprobleme zum Wirkungsstatut des geschlossenen Rechtsgeschäfts auf.
aa) Voraussetzungen und Stufen der Geschäftsfähigkeit
Rz. 10
Das nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 EGBGB berufene Statut legt die Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit fest, insbesondere das Lebensalter, mit dem sie erreicht wird, ebenso die Tatbestände, die eine Geschäftsfähigkeit ausschließen können, wie etwa den Einfluss geistiger Defekte oder die Auswirkungen einer Trunksucht. Weiterhin befindet es über das Bestehen etwaiger Zwischenstufen zwischen Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit (Teilgeschäftsfähigkeiten), nämlich welche Voraussetzungen diese haben und welche Rechtsgeschäfte dadurch möglich sind, z.B. bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach deutschem Recht.
bb) Sonderfälle des Erwerbs und des Geschäftsfähigkeitverlustes
Rz. 11
Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB nennt als besonderen Fall des Erwerbs der Geschäftsfähigkeit, der dem Geschäftsfähigkeitsstatut unterfällt, den in vielen Rechtsordnungen enthaltenen Rechtsgrundsatz "Heirat macht mündig". Diese Klarstellung ist sinnvoll, um eine Anknüpfung dieses Tatbestandes an das Ehewirkungsstatut (Art. 14 EGBGB) auszuschließen. Über seinen Wortlaut hinaus erfasst Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB nicht nur den Fall, dass durch die Eheschließung die volle Geschäftsfähigkeit erlangt wird, sondern auch den Fall einer Erweiterung, die vor der umfassenden Geschäftsfähigkeit Halt macht. Durch die Ehe verursachte Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit fallen allerdings nicht unter Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB, sondern unter Art. 14 EGBGB oder, wenn sie auf güterrechtlicher Grundlage beruhen, unter Art. 15 EGBGB a.F.
Rz. 12
In den Bereich des Geschäftsfähigkeitsstatuts gehören auch Erklärungen zur Geschäftsfähigkeit. Hierbei sind diejenigen Erklärungen zu nennen, die die Handlungsfähigkeit erweitern, insbesondere Volljährigkeitserklärung und Emanzipation. Die vor allem im romanischen Rechtskreis verbreitete Emanzipation stellt gegenüber der Volljährigkeitserklärung ein Minus dar, da sie nur zu einer Vorstufe der vollen Geschäftsfähigkeit führt; die Minderjährigkeit wird in ihren rechtlichen Wirkungen gemildert, aber es erfolgt keine Volljährigkeitserklärung. Da die Volljährigkeitserklärung nur in ihren Wirkungen über die Emanzipation hinausgehen kann, ansonsten aber zwischen beiden keine Wesensverschiedenheit besteht, sind beide kollisionsrechtlich gleich zu behandeln. Volljährigkeitserklärung und Emanzipation richten sich grundsätzlich nach dem gem. Art. 7 EGBGB zu bestimmenden Statut des gewöhnlichen Aufenthaltes. Soweit sie jedoch auf einem entsprechenden staatlichen Akt einer ausländischen Behörde oder eines ausländischen Gerichts beruhen, liegt eine Anerkennungsfrage vor, so dass gem. §§ 108, 109 FamFG zu entscheiden ist, ob die Volljährigkeitserklärung bzw. Emanzipation in Deutschland anerkannt wird.
Rz. 13
Ähnliches wie für die Volljährigkeitserklärung und die Emanzipation gilt für ihr Gegenstück, die Entmündigung, und sonstige Entziehungen oder Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit. Auch sie sind grundsätzlich nach dem Recht des Staates in dem der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat zu beurteilen, jedenfalls soweit nicht Staatsverträge wie etwa das KSÜ (siehe unten, Rdn 25) – für Minderjährige – als Sonderregelung dem EGBGB vorgehen. Die Anerkennung entsprechender Entscheidungen seitens ausländischer Gerichte oder Behörden bemisst sich wiederum nach §§ 108,109 FamFG, da es sich funktionell um Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. Ist der Betroffene allerdings ein Deutscher, auch wenn er Mehrstaater ist, so kann die ausländische Entmündigung allenfalls die Wirkungen einer Betreuung nach deutschem Recht in deren weitestreichendem Umfang (insbesondere mit Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB n.F.) haben, da eine generelle Entziehung der Geschäftsfähigkeit gegen den durch § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG geschützten ordre public verstoßen würde.