1. Allgemeines
Rz. 168
Die Behandlung der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung im IPR ist restlos umstritten, und zwar sowohl in den Grundzügen wie auch in den Details. Vorgaben seitens des Gesetzgebers gibt es nicht. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO, nimmt Fragen der Vertretungsmacht von Stellvertretern aus dem Regelungsprogramm der Rom I-VO heraus. Der Versuch der Haager Konvention, durch das Haager Übereinkommen über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht von 1978 Regelungen zu schaffen, muss wohl als gescheitert angesehen werden. Das Abkommen ist bis heute nicht in Kraft getreten. Für das auf Vorsorgevollmachten anwendbare Recht enthält allerdings Art. 15 des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (ESÜ) eine ausführliche Regelung, welche insoweit den nachfolgenden Ausführungen vorgeht. Art. 15 ESÜ gilt aber auch nur für Vorsorgevollmachten, verstanden als Vollmachten, die ihre Wirkung nach Eintritt einer Fürsorgebedürftigkeit entfalten. Ist die Vollmacht sowohl für diesen Fall wie auch unabhängig von Fürsorgebedürftigkeit erteilt worden, so ist die kollisionsrechtliche Anknüpfung je nach Wirkung gesondert vorzunehmen.
2. Anknüpfung
a) Objektive Anknüpfung
aa) Grundsatz
Rz. 169
Anders als manche andere Rechtsordnung unterscheidet das deutsche Sachrecht scharf zwischen drei verschiedenen Rechtsverhältnissen:
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dem Innen- bzw. Grundverhältnis zwischen Vertretenem und Stellvertreter; |
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der Vollmacht und ihrem Gebrauch gegenüber dem Geschäftsgegner (Außenverhältnis); |
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dem dadurch bewirkten Hauptgeschäftsverhältnis zwischen Vertretenem und Geschäftsgegner. |
Die damit verbundene Abstraktheit der drei Verhältnisse voneinander übertragen Rechtsprechung und h.L. auf die Kollisionsrechtsebene. Die Vollmacht als selbstständiges Rechtsgeschäft wird danach auch eigenständig angeknüpft und erhält internationalprivatrechtlich ein besonderes Vollmachtsstatut. Eine akzessorische Anbindung der Vollmacht an das Statut des Grundverhältnisses zwischen Stellvertreter und Vertretenem findet danach nicht statt, ebenso wenig eine unselbstständige Anknüpfung an das Geschäftsstatut für das Hauptgeschäft zwischen Vertretenem und dessen Vertragspartner.
Rz. 170
Die h.M. geht von der Geltung des Wirkungslandstatuts für die Vollmacht aus. Gemeint ist damit das Recht des Landes, in dem die Vollmacht nach dem Willen des Vollmachtgebers ihre Wirkungen entfaltet oder entfalten soll. Hintergrund sind Bedürfnisse zum Schutz des Rechtsverkehrs. Der Geschäftspartner des Vertreters soll die Wirksamkeit und den Umfang der Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen können, indem er sich an das ihm i.d.R. vertraute materielle Vertretungsrecht halten kann.
Rz. 171
Das Wirkungsland wird grundsätzlich durch den Gebrauchsort definiert, also durch den Ort, an dem der Vertreter seine Erklärung abgibt bzw. – beim Empfangsvertreter – eine Erklärung entgegennimmt. Bei Distanzgeschäften entscheidet damit der Ort, wo der Vertreter seine Erklärung abgesendet hat, sei es brieflich, telefonisch oder in anderer Weise. Unmaßgeblich ist hingegen, wo die Erklärung zugeht oder die Vollmacht nachgewiesen wird. Macht der Bevollmächtigte weisungswidrig an einem anderen Ort von der Vollmacht Gebrauch, als er nach dem Willen des Vollmachtgebers sollte, so kommt es wegen des Verkehrsinteresses auf den tatsächlichen Gebrauchsort an, es sei denn, der Dritte kannte den bestimmungswidrigen Gebrauch der Vollmacht oder musste ihn kennen (Rechtsgedanke des Art. 12 S. 1 EGBGB). Wird eine Vollmacht (bestimmungsgemäß) in mehreren Ländern verwendet, so wird sie für jedes Land nach dortigem Recht beurteilt. Das spielt etwa eine Rolle bei Generalvollmachten für in mehreren Ländern belegenes Vermögen. Zwischen Einzel-, Dauer- und Generalvollmachten wird ansonsten bei der Anknüpfung des Vollmachtsstatuts grundsätzlich nicht unterschieden.