Rz. 22
Der Notar "gilt" im Rahmen des § 15 GBO als ermächtigt:
I. Gesetzliche Vermutung
Rz. 23
Die h.M. ordnet, ausgehend vom durchaus zu Recht unterstellten Willen der Beteiligten, Abs. 2 als gesetzliche Vermutung ein. Tatsächlich hat aber Abs. 2 eine eigentümliche Zwitterstellung inne, die sich allen sonst üblichen Kategorien des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts entzieht. Die Norm ordnet trotz des Ausspruchs einer "Ermächtigung" jedenfalls keine Verfahrensstandschaft an und trotz des "gilt" keine Fiktion. Etwaige Anwendungsfragen können daher nur aus dem konkreten Normzweck, nicht aus allgemeinen Kategorien abgeleitet werden.
Rz. 24
So spricht für eine bloße Vollmachtsvermutung etwa die anerkannte Möglichkeit der Widerlegung dieser Vermutung, die Möglichkeit ihres Widerrufs oder ihres insolvenzbedingten Erlöschens.
Für eine Fiktion spricht die Amts- statt Personengebundenheit der Vollmacht (etwa in Fällen des Amtswechsels mit der Folge einer Weiterleitung an den Amtsnachfolger), die Abstraktheit der Vollmacht von einem erteilten Auftrag und die Handlungsberechtigung des Notars auch für Beteiligte, die ihn selbst nie kontaktiert haben. Nach überwiegender Auffassung besteht die Vollmacht sogar für solche Antragsberechtigte, die selbst keinerlei beurkundete oder beglaubigte Erklärung abgegeben haben. Danach könnte der Notar etwa jede Grundschuld auch für die Bank zur Eintragung beantragen, ohne dass es auf vorformulierte (oder individuelle) Aufträge noch ankäme. Trotz der damit verbundenen Kostenfolgen scheint es bisher keine Probleme gegeben zu haben. Vollmachten ad incertas personas dürften zwar in unserer Rechtsordnung zulässig sein – aber insgesamt doch so selten, dass Erfahrungssätze, die das Gesetz zu einer allgemeinen Vermutung verdichten könnte, nicht bestehen.
II. Widerlegbare Vermutung
Rz. 25
Da es sich um eine bloße gesetzliche Vermutung handelt, ist diese jederzeit widerlegbar und widerruflich. Der Gegenbeweis kann vor und nach Antragstellung geführt werden. Er kann sich bereits aus dem Inhalt der vorgelegten Urkunde selbst oder dem Handeln des vorlegenden Notars ergeben, oder wenn eine entsprechende Vermutung ausdrücklich ausgeschlossen ist. Ebenso können später entgegenstehende Erklärungen der Beteiligten dem Grundbuchamt vorgelegt werden. Als eine solche entgegenstehende Erklärung wurde auch die Einreichung der Kaufvertragsurkunde durch die Beteiligten beim Grundbuchamt anzusehen zur Eigentumsumschreibung, selbst wenn nur der Notar die Vormerkung beantragt hat. Auf jeden Fall müssen die Umstände, welche die Ermächtigung des Notars ausschließen sollen, eindeutig und nach außen sichtbar geworden sein. Deswegen muss das Grundbuchamt auch nicht ins Blaue hinein nach Anhaltspunkten für eine Widerlegung suchen.
Eine Widerlegung ergibt sich noch nicht daraus, dass sich ein Grundschuldgläubiger bei Abgabe einer Freigabeerklärung gegen die Kostenpflicht wendet. Die Vollmacht ist auch noch nicht dadurch widerlegt, dass der Bewilligende (einer Löschung) ausdrücklich "keine Anträge" stellt. Die hohen Hürden für eine solche Widerlegung sind zwar unter dem Gesichtspunkt des Grundbuchvollzugs (der bleibt in der Regel möglich) und des Kosteninteresses des Justizfiskus praktisch. Gleichwohl geht die Tendenz aber bedenklich in Richtung "Unterstellung" bzw. gesetzlicher Zwangsvollmacht. Und es wird die verfahrensrechtliche Trennung von Bewilligung und Antrag unterlaufen, indem über eingeschaltete Notare jederzeit aus der Bewilligung der Antrag gerade des Bewilligenden folgt.
Rz. 26
Aus der parallelen Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Vollzugsvollmacht kann nicht die Vermutung des Abs. 2 als widerlegt gelten. Rechtsgeschäftliche Vollzugsvollmachten sollen Defizite in der Vermutungswirkung des Abs. 2 beheben und die gesetzliche Vollmacht insoweit ergänzen, nicht aber diese beseitigen. Erst recht folgt keine Widerlegung daraus, dass der Notar sich bei seiner Vorlage (nur) auf die eine (gesetzlich vermutete) oder die andere ihm rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht stützt. Die jeweils andere Vollmacht ist allenfalls nicht ausgenutzt, nicht aber widerlegt oder nicht vorhanden. Und schließlich greift die Vermutung immer noch für andere Notare, die zur begehrten Eintragung andere Teile der erforderlichen Erklärungen beurkundet oder beglaubigt haben, aus der parallelen rechtsgeschäftlichen Vollmacht aber nicht berechtigt sind.