I. Ausgangssituation
Rz. 6
Elektronische Dokumente sind ihrem Wesen nach flüchtig, manipulierbar und nicht aus sich selbst heraus individualisierbar. Infolge der zunehmenden Ersetzung traditionell mündlicher oder gewillkürt schriftlicher Erklärungen im Rechtsverkehr wurden die Gefahren wie die Gefährdung des ungesicherten elektronischen Dokuments offenbar.
Rz. 7
In den 1970er Jahren wurden jedoch mathematische Verfahren entwickelt, mit denen bei geeigneter technisch-organisatorischer Einbindung (siehe unten Rdn 12) elektronische Dokumente gegen unbemerkte Veränderung geschützt und einem Urheber zugeordnet werden können.
II. Begriffsbestimmung
Rz. 8
In der technischen Fachwelt hat sich hierfür der Begriff der digitalen Signatur herausgebildet. Juristen haben diese Überlegungen fortgesetzt und in der Diskussion über eine Eignung solcher Sicherungsmechanismen als Unterschriftsersatz dafür den Begriff der elektronischen Unterschrift geprägt. § 75 GBV greift dieses Verständnis auf. Die Signatur ist mit Inkrafttreten der sog. eIDAS–VO im Interesse einer binnenmarktbedingten Vereinheitlichung neu geregelt worden und war damit den nationalen Regelungen wie Signaturgesetz und Signaturverordnung vorrangig. Mit dem Vertrauensdienstegesetz (VDG) als Artikelgesetz wurde das Signaturgesetz sowie die Signaturverordnung aufgehoben und die Rechtslage in Deutschland an die EU-Verordnung (hier kurz: eIDAS-VO) angepasst. Infolge der Umsetzung durch europäisches Recht hat sich für das Verfahren der Begriff elektronische Signatur eingebürgert. Die GBV ist gem. § 75 Art. 2 Abs. 2 GBV vom Anwendungsbereich der eIDAS-VO ausgenommen. Ein prinzipieller Unterschied zu den elektronischen Signaturen der eIDAS-VO und der elektronischen Unterschrift besteht jedoch nicht, soweit die in § 75 GBV angesprochenen Kryptoverfahren gemeint sind.
III. Funktionsweise
Rz. 9
Zum Verständnis der ablaufenden Vorgänge muss man sich von dem Vergleich mit der eigenhändigen Unterschrift lösen. Die digitale Signatur ist ihrem Urheber nur indirekt zuzuordnen, umfasst aber im Gegensatz zu der stets nur angefügten manuellen Unterschrift den signierten Text mit. Diese Zusammenhänge meint auch § 75 S. 2 GBV, wenn von einer textabhängigen und unterzeichnerabhängigen Herstellung der elektronischen Unterschrift die Rede ist. Die digitale Signatur bezweckt somit die Gewährleistung von Integrität und Authentizität der signierten Texte. Davon zu trennen ist die Wahrung der Vertraulichkeit, die mittels des Einsatzes derselben, leicht abweichend angewandten Verfahren erreicht werden kann, die den betreffenden Text für Unbefugte verschlüsseln, also unleserlich machen. Digitale Signatur und diese Art von Verschlüsselungsverfahren bauen also auf denselben mathematischen Grundlagen auf, unterscheiden sich aber in dem von ihnen erzielten Ergebnis.
Rz. 10
Dem digitalen Signaturverfahren als technischem Begriff (in Abgrenzung zur elektronischen Signatur als rechtlichem Begriff) liegt ein mathematisches Prinzip zugrunde und setzt voraus, dass der Signierende ein zusammengehöriges Paar von mathematischen "Unterschriftsschlüsseln" besitzt, das sich aus dem Produkt aus zwei Primzahlen als sog. öffentlichen Schlüssel und einem der Faktoren als sog. privaten oder geheimen Schlüssel zusammensetzt und das bei hohen Werten der Zahlen mit den gegebenen Rechnerleistungen nicht in vertretbarer Zeit errechnet werden kann (zu den Details siehe KEHE, Grundbuchrecht, 7. Aufl. § 75 GBV Rn 10, 11).