Leitsatz (amtlich)
1. Eine wirksame Vollmacht zur Vertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nach § 329 Abs. 2 StPO muss sich ausdrücklich auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung beziehen.
(Anschluss OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2016 - 5 RVs 82/16 - juris Rdn. 28).
2. Der Anwendungsbereich des § 234 StPO umfasst nicht die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung, so dass ein Verweis auf diese Vorschrift in einer Vertretungsvollmacht dieser nicht zur Erstreckung auf die Berufungshauptverhandlung verhilft.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 06.10.2017; Aktenzeichen (567) 255 Js 903/15 Ls Ns (51/16)) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Oktober 2017 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten am 28. Januar 2016 wegen Hehlerei, Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und setzte eine Sperre von vier Jahren für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis fest. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 6. Oktober 2017 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. In der Berufungsverhandlung hatte der Wahlverteidiger eine von dem Angeklagten unterschriebene, auf den 2. März 2016 datierte Strafprozessvollmacht vorgelegt, in der es heißt, dieser ermächtige ihn zu seiner Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen, "und zwar auch für den Fall meiner Abwesenheit zur Vertretung nach § 411 II StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach §§ 233 I, 234 StPO (...)". Gegen das Verwerfungsurteil des Landgerichts richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts durch die fehlerhafte Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO rügt.
1. Die in zulässiger Weise angebrachte Verfahrensrüge erweist sich als unbegründet. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zu Recht verworfen, denn die Voraussetzungen für eine Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO lagen in der Hauptverhandlung vor.
a) Nach der für die Entscheidung maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. KG, Beschluss vom 16. September 2015 - [2] 121 Ss 141/15 [51/15] - juris Rdn. 9) ist die Berufung des Angeklagten zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht (seit dem 1. Januar 2018: mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht; diese durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 [BGBl I 2017, 2208] herbeigeführte Änderung sollte lediglich Medienneutralität im Hinblick auf die mögliche elektronische Übermittlung einer Vollmacht herstellen, vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/9416, S. 70) erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Die allgemeine Verteidigervollmacht reicht insoweit nicht aus. Erforderlich ist eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärungen abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vgl. Frisch in SK-StPO 5. Aufl., § 329 Rdn. 51a m.w.N.; näher zum Inhalt der Vollmacht Spitzer, StV 2016, 49). Wie in der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (BT-Drucks. 18/3562, S. 68) ausdrücklich ausgeführt wird, kann diese schriftliche Vollmacht in derselben Urkunde wie die Verteidigungsvollmacht enthalten sein; die Entwurfsbegründung enthält allerdings keine Ausführungen zu der Frage, ob sich die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf die Berufungshauptverhandlung beziehen muss.
b) Allein die Formulierung in der Vollmacht, der Verteidiger werde zur "Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen" ermächtigt, kann - anders als im Strafbefehlsverfahren (vgl. BGH NJW 1956, 1727; Gössel in LR-StPO 26. Aufl., § 411 Rdn. 31 m.w.N. zu § 411 Abs. 2 StPO) - für die Vertretungsvollmacht bezogen auf die Berufungshauptverhandlung nicht ausreichen (so aber OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 Ss 178/16 - juris Rdn. 18). Mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung überträgt der Angeklagte wichtige Verfahrensrecht...