Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bei nicht gewährter Akteneinsicht
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Mit Blick auf ein drohendes Fristversäumnis ist es Aufgabe des Verteidigers, an die Erledigung eines unbeschiedenen Akteneinsichtsersuchens zu erinnern (Anschluss BGH NStZ 2000, 326).
2. Eine ausschließlich "in der Verhandlung zu Protokoll gegebene Rüge" wahrt Form und Frist einer Verfahrensrüge nicht. Verfahrensrügen sind vielmehr nach Urteilserlass in der Form und der Frist der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO anzubringen.
3. Nur ausnahmsweise ist prozessuales Geschehen (Verfahrenstatsachen) in das Urteil aufzunehmen. Es ist vielmehr Aufgabe der Rechtsbeschwerde, in einer Verfahrensrüge entsprechend vorzutragen.
4. Die Inbegriffsrüge muss dartun, dass der angeblich verwertete Beweisstoff (auch) nicht anderweitig prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
Normenkette
StPO §§ 44-45, 261, 267, 273, 344-345, 349; OWiG §§ 46, 49
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 28.10.2021; Aktenzeichen 290 OWi 431/20) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. Oktober 2021 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot angeordnet. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die durch zwei Schriftsätze des Verteidigers begründet worden sind. Im zweiten Schriftsatz, der außerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingegangen ist, beantragt der Betroffene zugleich Wiedereinsetzung in die Frist. Weder der Wiedereisetzungsantrag noch die Rechtsbeschwerde haben Erfolg.
1. Der Antrag des Betroffenen, ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung zu bewilligen, ist unzulässig.
a) Es steht schon in Frage, ob der Betroffene, der die Rechtsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist der §§ 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 1 StPO mit mehreren ausgeführten Verfahrensrügen und der ebenfalls ausgeführten Sachrüge begründet hat, überhaupt eine Frist versäumt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 326). Jedenfalls fehlt es für die Wiedereinsetzung zur Anbringung der weiteren Verfahrensrügen an der Darlegung, dass der Verteidiger sich in angemessener Weise um rechtzeitige Akteneinsicht bemüht hat. Das Wiedereinsetzungsgesuch verhält sich hierzu gar nicht und führt nur aus, die Akte sei erst am 27. Dezember 2021 "angewiesen" und am 6. Januar 2022 "als Päckchen zugestellt" worden. Das Gesuch lässt aber nicht erkennen, dass, warum und in Bezug auf welche nun vorgetragenen Umstände überhaupt eine Fristsäumnis mit dem geschilderten Umstand in Zusammenhang steht. Schon gar nicht verhält sich die Antragsschrift dazu, dass die Fristsäumnis unverschuldet war. Der BGH hat verschiedentlich entschieden, dass es "mit Blick auf das drohende Fristversäumnis" Aufgabe des Rechtsanwalts ist, an die Erledigung eines unbeschiedenen Akteneinsichtsersuchens zu erinnern (vgl. BGH NStZ 2000, 326; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 492; vgl. auch OLG Koblenz VRS 70, 282 und Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 44 Rn 7b). Dies ist hier nicht fristgerecht (§ 45 Abs. 1 StPO) vorgetragen worden.
Lediglich informatorisch ist anzumerken, dass die mit 22. Dezember 2021 datierende (schriftliche) Wiederholung des Akteneinsichtsgesuchs trotz Fristenlaufs und erkennbarer Eilbedürftigkeit erst am 28. Dezember 2021 beim Amtsgericht (per beA) einging. Diese Erinnerung hat sich nicht ausgewirkt, weil die Akte, wie der Rechtsmittelführer mitteilt, bereits per Verfügung vom 27. Dezember 2021 übersandt worden ist. Zudem war am 28. Dezember 2021 mit einer rechtzeitigen Aktenübersendung ohnehin kaum zu rechnen, denn die Rechtsmittelbegründungsfrist endete bereits mit Ablauf des 2. Januar 2022.
b) Unbehelflich ist der im Schriftsatz vom 25. Februar 2022 enthaltene Hinweis, in der "vorläufigen Rechtsbeschwerdebegründung vom 22.12.2021" seien weitere Ausführungen "ausdrücklich vorbehalten" worden. Weder kennt das Prozessrecht die hier in Anspruch genommene "vorläufige Rechtsbeschwerdebegründung" noch können verspätete Ausführungen "vorbehalten" bleiben. Vielmehr kann die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht verlängert werden (vgl. BGH NStZ 1988, 20 [Revision]), schon gar nicht durch einseitige Erklärung ("Vorbehalten") des Rechtsmittelführers. Im Grundsatz statthaft ist allerdings die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die eine schuldlose Fristsäumnis erfordert, an deren Darstellung es hier, wie ausgeführt, gerade fehlt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aus den Gründen der dem Betroffenen zugänglich gemachten Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 8. Februar 2022 offensichtlich unbegründet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 3...