Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertragung der Alleinsorge bei umgangsrechtlich angeordnetem Wechselmodell

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil bei einer umgangsrechtlich - trotz Hochstrittigkeit der Eltern - angeordneten hälftigen Betreuung des Kindes.

2. Ob eine hälftige Betreuung und eine Alleinsorge in sachlichem Widerspruch stehen oder eine solche Regelung geboten ist, stellt sich als eine im jeweiligen Einzelfall zu beantwortende Frage der inhaltlichen Folgerichtigkeit der im jeweiligen Verfahren zu treffenden Entscheidung dar (vgl. BGH, FamRZ 2020, 255).

3. Bei einem angeordneten Wechselmodell kann es das Kindeswohl im Einzelfall gebieten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht und weitere Sorgebereiche einem Elternteil allein zu übertragen, wenn dieser eher als der andere Elternteil eine zuverlässige Durchführung des Wechselmodells gewährleistet (vgl. BGH, FamRZ 2020, 255) und dadurch das Konfliktpotenzial zwischen den Eltern verringert werden kann.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 1, §§ 1684, 1696 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 11.01.2023; Aktenzeichen 175 F 3781/21)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg - 175 F 3781/21 - vom 11.01.2023 wird zurückgewiesen.

2. Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Eltern jeweils zur Hälfte zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Eltern streiten um die elterliche Sorge für das Kind Z. (*2012). Aus der Beziehung der Eltern ist auch seine Schwester Y. (*2008) hervorgegangen.

Die jetzt 44-jährige Mutter ist in der Ukraine geboren und lebt seit 1998 in Deutschland. Sie besitzt die ukrainische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie arbeitet selbständig als ... Im Haushalt der Mutter leben neben V. (*2015) auch W. (*2017) und aktuell auch deren Vater Herr X.

Der jetzt 57-jährige Vater, deutscher Staatsangehöriger, ist gelernter Baumaschinenführer und seit 2005 wegen der Betreuung der Kinder als Hausmeister tätig. Aus der ersten Ehe sind zwei weitere Kinder hervorgegangen, die er nach der Trennung in seinem Haushalt betreute. Zu beiden - mittlerweile erwachsenen - Kindern und seinen Enkelkindern hat er Kontakt, er verbringt mit ihnen und den weiteren Kindern auch einen jährlichen Familienurlaub.

Die Eltern sind nach Y.s Geburt im Herbst 2008 zusammengezogen. Sie haben nach Geburt der beiden Kinder am 02.04.2014 geheiratet, für die Mutter war es die dritte, für den Vater die zweite Ehe. Die Mutter hat 2010 ihren heutigen Lebensgefährten Herrn X. kennengelernt. Sie geht - wie Herr X. - davon aus, dass Herr X. (geb. 1968) der leibliche Vater von Z. ist, da aber alle Fristen für die Anfechtung der Vaterschaft abgelaufen seien, habe sie Z. gesagt, dass er zwei Väter habe (vgl. schriftliches Gutachten der Sachverständigen S. im Verfahren KG 3 UF 1105/20). Der Vater geht davon aus, dass Z. sein Kind ist, was er aber nicht überprüfen lassen wolle. Gleichwohl hat die Mutter 2014 zunächst den rechtlichen Vater geheiratet. Ab Ende 2014/2015 hat sie jedoch die Beziehung mit Herrn X. wieder aufgenommen und ist dann von ihm mit V. schwanger geworden. Daraufhin trennten sich die Eltern im Januar 2015, die Ehe wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg vom 11.03.2016 geschieden (175 F 12516/15).

Die jetzt 15-jährige Y. lebt seit Anfang 2018 im Haushalt des Vaters, dem das Amtsgericht im Oktober 2020 die alleinige elterliche Sorge für Y. übertragen hat (175 F 663/20). Y. hat keinen Kontakt zur Mutter, nachdem die Mutter sie "hinausgeworfen" und der Vater sie kurzfristig bei sich aufgenommen hat. Versuche der Wiederannäherung im Herbst 2019 sind gescheitert, nachdem die Mutter Y. bei einem gemeinsamen Besuch der M. - Arena allein ließ und die Polizei deshalb den Vater anrief, der Z., V. und W. betreute. Nachdem das Amtsgericht mit Beschluss vom 22.10.2020 (175 F 2922/20) noch zweiwöchentliche Nachmittagskontakte unter Begleitung eines Betreuungshelfers angeordnet hatte, fanden nur sporadische Umgänge statt. Das Kammergericht hat die Umgangsregelung des Amtsgerichts mit Beschluss vom 28.01.2022 (3 UF 1105/20) aufgehoben, weil Y. weitere Kontakte ablehnte und die Mutter von ihrem Umgangsbegehren Abstand nahm.

Bis 2019 betreute der Vater auch die weiteren Kinder der Mutter mit Herrn X., (V. und W.) und hatte insbesondere zu V. eine enge Beziehung. Es gab Konflikte mit der Mutter hinsichtlich des Umgangs, in deren Folge die Mutter weitere Besuche von V. im Haushalt des Vaters untersagte. Hinsichtlich dieser Kinder war ein Kinderschutzverfahren unter dem Az. 157A F 7248/20 anhängig, das nach Gefährdungsanzeige der früheren Kita beim Jugendamt eingeleitet worden war und nach Vereinbarung einer Diagnostik der Kinder beim SPZ eingestellt worden ist.

Der 10-jährige Z. hat das Down-Syndrom (Trisomie 21) und leidet unter einer damit verbundenen schweren komplexen Retardierung...

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