Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine analoge Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auf andere Verfahrensverstöße
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Messverfahren müssen die Messdaten nicht speichern, so dass auch nicht dokumentierende Verfahren verwertbare Ergebnisse erzeugen können.
2. Der Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) ist auf die Verletzung einer fairen Verfahrensführung nicht entsprechend anwendbar.
3. Die Ablehnung eines Beweisantrags begründet die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG als Verletzung rechtlichen Gehörs nur dann, wenn sie willkürlich ist, also ohne eine nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt, unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht deshalb nicht standhalten würde.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 80 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 17.10.2022; Aktenzeichen 304 OWi 902/22) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Oktober 2022 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Gründe
Erläuternd bemerkt der Senat:
1. Die vom Rechtsmittelführer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrte Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nach § 80 Abs. 1 OWiG bei der hier verhängten Geldbuße (90 Euro) von vornherein gesetzlich ausgeschlossen.
2. Gleichfalls ausgeschlossen ist bei der hier verhängten geringen Geldbuße die Beanstandung der Verletzung einfachen Verfahrensrechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Lediglich informatorisch wird insoweit mitgeteilt, dass der Senat bereits verschiedentlich - für Geschwindigkeitsmessungen - entschieden hat, dass Messverfahren die Messdaten nicht speichern müssen, so dass auch nicht dokumentierende Verfahren verwertbare Ergebnisse erzeugen können (grundlegend: VRR 2020, Nr. 9 [Volltext bei juris]; für viele in der Literatur Krenberger NZV 2019, 421). Aus der vom Rechtsmittelführer angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (DAR 2021, 75) ergibt sich nichts anderes. Die beim BVerfG zu dieser Frage anhängige Sache 2 BvR 1167/20 ist noch nicht entschieden.
3. Das rechtliche Gehör (§ 80 Abs. 1 Nr. 2) ist nicht verletzt worden.
a) Der Rechtsmittelführer macht geltend, seine Informationsrechte seien vorprozessual verletzt worden, weil er nicht Zugang zu allen von ihm erwünschten Dokumenten und Dateien erhalten habe. Das Rechtsmittel erkennt selbst, dass hierin, vorausgesetzt die Behauptungen träfen zu, eine Verletzung des Grundsatzes einer fairen Verfahrensführung liegen könnte. Dieser Verfahrensgrundsatz unterfällt aber nicht dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (ständige Rechtsprechung des Senats, ZfSch 2018, 47 [= StraFo 2018, 383]; Beschlüsse vom 22. September 2020 - 3 Ws (B) 182/20 - [jurisPR-VerkR 3/2021 m. Anm. Krenberger], vom 3. Juni 2021 - 3 Ws (B) 148/21 - [juris] und vom 11. August 2022 - 3 Ws (B) 200/22 -; BVerfGE 63, 45 [Spurenakten]; BGHSt 30, 131 [Spurenakten]; OLG Bremen NStZ 2021, 114; OLG Koblenz NZV 2021, 201; BayObLG DAR 2021, 104; Cierniak, zfs 2012, 664 [670]; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2), und auch eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ermöglicht keine Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. Senat VRS 134, 48; ZfSch 2018, 472 [= StraFo 2018, 383 = NJW-Spezial 2018, 491]; 2021, 288; VRR 2019, Nr. 10, 17 [Volltext bei juris] und Beschlüsse vom 3. Juni 2021 - 3 Ws (B) 148/21 -; BayObLG NZV 1996, 44; OLG Braunschweig, Beschluss vom 19. Oktober 2011 - Ss (OWiZ) 140/11 - [juris]; OLG Saarbrücken SVR 2018, 155 [Volltext bei juris]; Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 80 Rn. 40; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG § 80 Rn. 8; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2; offen: Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 16e [analoge Anwendung "erscheint vertretbar"] unter Hinweis auf BVerfGE 92, 191; GA 1996, 180; NJW 1993, 2167; a. A. OLG Rostock, Beschl. vom 13. Juli 2016 - 21 Ss OWi 103/16 (Z) - [offenkundiges redaktionelles Versehen bei Abfassung der Urteilsformel] [juris]).
b) Auch durch die Ablehnung eines in der Hauptverhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt worden. Eine solche Verletzung kommt in diesem Zusammenhang nur dann in Betracht, wenn die Ablehnung willkürlich ist, also ohne eine nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt, unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass ein Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht deshalb nicht standhalten würde (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 3. Juni 2021 - 3 Ws (B) 148/21 - [juris] und vom 10. November 2018 - 3 Ws (B) 294/18 - [juris]; OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2012 - III-3 RBs 382...