Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 04.04.2012; Aktenzeichen (524) 6 Ju Js 1809/08 Ls Ns (15/12)) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. April 2012 aufgehoben, soweit er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrifft. Dem Beschwerdeführer wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2010 - (425) 6 Ju Js 1809/08 LS (4/10) - auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Es wird festgestellt, dass die Verwerfung der Berufung des Angeklagten durch den vorgenannten Beschluss des Landgerichts Berlin gegenstandslos ist.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Beschwerdeführer am 5. Mai 2010 wegen Betruges in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach dem noch in der Hauptverhandlung allseits erklärten Rechtsmittelverzicht ist das Urteil ist seit demselben Tag rechtskräftig. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet, seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er rügt, dass ihm entgegen der Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO vor dem Amtsgericht kein Verteidiger zur Seite gestanden und er aus Unkenntnis Rechtsmittelverzicht erklärt und deshalb auch innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 StPO kein Rechtsmittel eingelegt habe, hat Erfolg.
1. Die nach § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
a. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zulässig. Zur Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages gehört, dass der Antragsteller binnen einer Woche nach dem Wegfall des Hindernisses (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist ausschließt. Dabei hat er die Gründe für seine angeblich unverschuldete Fristversäumung unter umfassender und genauer Darlegung der Tatsachen, die für die Frage bedeutsam sind, wie und durch welche Umstände es zu der Säumnis gekommen ist, innerhalb der einwöchigen Frist darzulegen (vgl. KG NZV 2002, 47, 51). Ausweislich der Akten hat der Verteidiger des Beschwerdeführers am 25. Januar 2012 Akteneinsicht genommen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer erst im Anschluss daran Kenntnis von dem Sachverhalt genommen und am 1. Februar 2012 fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2010 eingelegt hat. Der Antragsschrift und der Beschwerdebegründung kann auch hinreichend deutlich entnommen werden, dass der Beschwerdeführer die Einlegung der Berufung ohne Verschulden (§ 44 StPO) versäumt hat. Der von dem seinerzeit anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht erklärte Rechtsmittelverzicht war unwirksam und er konnte die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in unerkannt falschem Vertrauen auf die Wirksamkeit nicht erkennen.
b. Zwar ist ein Rechtsmittelverzicht grundsätzlich als Prozesserklärung unwiderruflich und unanfechtbar. Vorliegend fehlte es jedoch an der nach § 140 Abs. 2 StPO notwendigen Mitwirkung eines Verteidigers.
Im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gibt schon die Straferwartung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 140 Rdn. 23 m.w.Nachw.); bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ist eine solche zwingend geboten. Damit war der Beschwerdeführer vor Abgabe der Prozesserklärung des Rechtsmittelverzichts ohne den bei der Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht vorgeschriebenen Beistand eines Verteidigers; ihm fehlte folglich die rechtstaatlich unverzichtbare Rechtsberatung. Infolge dieser gravierenden, gemessen an den Anforderungen an ein faires Verfahren nicht hinnehmbaren Einschränkung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers muss sein Rechtsmittelverzicht als von Anfang an unwirksam gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 - 5 StR 617/01 -; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2009 - 5 Ws 91/09 -; KG, Beschluss vom 18. Juli 2007 - 3 Ws 355/06 -) [alle bei juris]. Die Gegenmeinung (vgl. Hanseatisches OLG Beschluss vom 30. Januar 1996 - 1 Ws 29/96 -; Beschluss vom 17. Mai 2005 - 1 Ss 61/05 ; OLG Brandenburg Beschluss vom 7. Februar 2000 - 1 Ss 4/00 - [alle bei juris]), die im wesentlichen darauf abstellt, dass der eindeutig ausgesprochene Rechtsmittelverzicht nur in wenigen Ausnahmefällen angefochten werden kann und ein solcher nicht vorliegt, wenn der Angeklagte sich der Bedeutung und Tragweite seiner Ents...