Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung eines Sorgerechtsverfahrens: Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts. Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Über eine Aussetzung des Verfahrens nach § 21 FamFG entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen.
2. Im Beschwerdeverfahren ist die Aussetzungsentscheidung nur auf Verfahrens- und Ermesensfehler zu überprüfen.
3. Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren über die Aussetzung ergeht nach §§ 80 ff. FamFG.
Normenkette
ZPO § 567; FamFG §§ 21, 80
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 22.07.2010; Aktenzeichen 146 F 663/10) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 22.7.2010 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Antrag der Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz wird zurückgewiesen.
Gründe
Die gem. §§ 21 Abs. 2 FamFG, 567 ZPO zulässige sofortige Beschwerde gegen die vom AG beschlossene Aussetzung des Sorgerechtsverfahrens hat in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 21 FamFG kann das Gericht das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen. Es hat diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (vgl. z.B. Ahn-Roth in Prüting/Helms, § 21 FamFG Rz. 12; Zöller/Geimer, 28. Aufl., § 21 FamFG Rz. 2). Dessen Grenzen sind nicht überschritten.
Soweit sich das AG in seiner Entscheidung auf die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit von § 1672 Abs. 1 BGB bezogen hat, ist eine Aussetzung zwar nicht mehr gerechtfertigt. Das BVerfG hat mit Beschl. v. 21.7.2010 - 1 BvR 420/09 - diese Frage entschieden und eine Übergangsregelung für die Anwendung der Vorschrift getroffen.
Das AG hat seine Entscheidung aber auf einen zweiten tragenden Gesichtspunkt gestützt. Wie sich aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses ergibt, ist danach jeder einzelne Grund für sich geeignet, eine Aussetzung zu rechtfertigen. Die Begründung, dass zunächst abgewartet werden muss, ob nach der Einsetzung eines Umgangspflegers mit Beschluss vom selben Tag der Umgang zwischen Vater und Kindern in einer Weise stattfindet, dass eine Gefährdung des Kindeswohls wegen Vereitelung des Umgangs nicht mehr droht, lässt Ermessensfehler nicht erkennen.
Das Beschwerdegericht hat keine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, sondern allein zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund vorliegt und die Aussetzungsentscheidung auf Verfahrens- und Ermessensfehlern beruht. Für eine Aussetzung nach § 252 ZPO ist dies anerkannt (BGH MDR 2006, 704; Zöller/Greger, 28. Aufl., § 252 ZPO Rz. 3 m.w.N.). Für die Beschwerde gegen eine Aussetzung nach § 21 Abs. 2 FamFG ist eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt, zumal für die Beschwerde auf die Vorschriften der sofortigen Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO verwiesen wird.
Das AG hat mit Recht angenommen, dass ein wichtiger Grund i.S.v. § 21 Abs. 1 FamFG vorliegt. Die in dieser Vorschrift genannten Aussetzungsgründe sind Regelbeispiele, die den Anwendungsbereich nicht abschließend umschreiben, wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergibt. Grundsätzlich hat das Gericht zwar auf der Grundlage des aktuellen Sachstands zu entscheiden. In Familiensachen, insbesondere in Sorgerechtsverfahren, kann es aber ausnahmsweise zulässig sein, das Verfahren auszusetzen, wenn die Familienverhältnisse noch in der Entwicklung begriffen und nicht zu überblicken sind (vgl. Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, § 21 FamFG Rz. 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
So verhält es sich hier. Die Entwicklung des letzten halben Jahres war durch häufige Wechsel des Aufenthaltsorts der Kinder mit entsprechenden schweren Belastungen für sie geprägt. Während der Zeit, die sich die Kinder im Haushalt der Mutter bei M... aufgehalten haben, fand ein Umgang mit dem Vater nicht statt. Aktuell sind die Kinder erneut in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt, die Regelung des Umgangs ist einem Pfleger übertragen worden. Das Sachverständigengutachten konnte die neue Entwicklung noch nicht berücksichtigen.
Die auf dieser Grundlage getroffene Entscheidung, das Sorgerechtsverfahren zunächst auszusetzen, um die weitere Entwicklung abzuwarten, lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Versuch, eine fundiertere Entscheidungsgrundlage zu erhalten, ist ein sachlicher Gesichtspunkt. Konkrete Ermessensfehler werden auch mit der Beschwerde nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. In § 21 Abs. 2 FamFG ist allein auf die Vorschriften der ZPO über die sofortige Beschwerde verwiesen, nicht aber auf die Kostenvorschriften. Es wäre auch systemwidrig, die Kostenentscheidung erster Instanz nach §§ 80 ff. FamFG, die der zweiten Instanz aber nach den Vorschriften der ZPO zu treffen. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, von dem Grundsatz des § 84 FamFG abzuweichen.
Verfahrenskostenhilfe kann der Beschwerdeführerin nicht bewilligt werden, da ihr Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
Fundstellen
NJW-RR 2011, 220 |
AGS 2011, 253 |