Leitsatz (amtlich)

Die Vollzugsbehörde darf ein im Vollstreckungsverfahren über den Gefangenen erstattetes schriftliches Prognosegutachten erfordern, an sich übermitteln lassen und zu den Gefangenenpersonalakten nehmen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 24.03.2010; Aktenzeichen 589 StVK 906/08 Vollz)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 24. März 2010 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I. Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen schweren Raubes. Zwei Drittel der Strafe waren am 21. Januar 2008 vollstreckt; das Strafende ist auf den 21. Januar 2011 notiert.

Das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - lehnte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO mit Beschluß vom 29. Mai 2008 den Antrag des Gefangenen, die Reststrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen, ab. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluß vom 19. August 2008 - 2 Ws 332/08 -.

Da der Gefangene bereits im April 2008 die Genehmigung einer externen Therapie beantragt hatte, forderte dessen Gruppenleiter das am 10. Januar 2008 für das vorbezeichnete Vollstreckungsverfahren erstattete schriftliche kriminalprognostische Gutachten des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Dr. G. H., eines Diplom-Psychologen, vom 10. Januar 2008 bei Gericht an, um es an den psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt zur Prüfung der Genehmigung einer externen Therapie weiterzuleiten. Dies teilte er dem Verurteilten mit. Die vom Landgericht übersandte Kopie des Gutachtens wurde zur Gefangenenpersonalakte des Antragstellers genommen.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) abgelehnt, die Vollzugsbehörde zu verpflichten, die Kopie des Gutachtens aus den Gefangenenpersonalakten zu entfernen und an den Antragsteller herauszugeben, sowie alle vollzuglichen Vermerke in der Gefangenenpersonalakte, die sich auf dieses Gutachten beziehen oder dessen Inhalt erkennen lassen, zu löschen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung sachlichen Rechts.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Sie wirft datenschutzrechtliche Rechtsfragen auf, die der Senat zwar bereits teilweise erörtert hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. April 2010 - 2 Ws 8-9/10 Vollz - und 24. März 2010 - 2 Ws 24 und 81/10 Vollz -), die jedoch wegen ergänzender Überlegungen des Beschwerdeführers zur Nutzung von im Vollstreckungsverfahren erstatteter Gutachten für vollzugliche Zwecke, insbesondere zur Zweckbestimmung von Daten, einer Vertiefung bedürfen.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.

2. Das schriftliche Gutachten ist zu Recht von der Vollzugsbehörde erfordert, an sie übermittelt und in die von ihr über den Gefangenen geführten Personalakten genommen worden.

a) Das Recht auf informelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährt insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. BVerfGE 65, 1, 44 - Volkszählungsurteil -; BVerfG StV 2009, 449). Jede Beschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG und damit jede Datenverarbeitung benötigt deshalb eine Rechtsgrundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben, damit sie dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen (BVerfG aaO.). Ein Gesetz ist hinreichend bestimmt, wenn sein Zweck aus dem Gesetzestext in Verbindung mit den Materialien deutlich wird. Das ist bei den hier anwendbaren Normen der Fall.

Mit der Einführung der §§ 179ff. StVollzG hat der Gesetzgeber der Forderung des Bundesverfassungsgerichts entsprochen, wonach der Grundsatz der Verfügungsgewalt über die eigenen Daten eine sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Datenverarbeitung und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gebietet (vgl. Weichert in AK-StVollzG 5. Aufl., vor § 179 Rdnrn. 1, 15). Diese Vorschriften sind die zentrale Rechtsgrundlage für den Umgang mit sämtlichen personenbezogenen Daten des Justizvollzugs und umfassen namentlich die Behandlung der in einer Justizvollzugsanstalt vorhandenen Unterlagen, insbesondere auch der Gefangenenpersonalakte und Gesundheitsakte. Sie haben insoweit abschließenden Charakter, als alle nicht von diesen Vorschriften erfaßten Erhebungen, Übermittlungen oder Speicherungen von Daten nur mit wirksamer Einwilligung des Betroffenen zulässig sind (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., § 180 Rdn....

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